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Meier-Graefe, Julius
Pyramide und Tempel: Notizen während einer Reise nach Ägypten, Palästina, Griechenland und Stambul — Berlin, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.27195#0044
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BEI DEN SCHWESTERN

friedlicher Mensch. Er befindet sich auf einer Weltreise
und geht nächstens nach Indien weiter. Unseren Ge-
sprächen folgt er mit Andacht, ohne eine Silbe zu ver-
stehen. Als ich mich neulich mit dem blonden Doktor über
Goethe und Schiller stritt, eine Unterhaltung, die, wie
Dohn meinte, sehr tief ging, erkundigte er sich, ob bei uns
die Werke der beiden Dichter auch in dramatischer Form
gegeben würden. In Amerika führe man sie immer nur im
Theater auf, was ihm bedenklich erscheine. Man könne
sich in diesen Dingen auf seine Landsleute nicht verlassen.
Dohn und uns und auch die meisten anderen hat er sehr
freundlich nach Ohio eingeladen.

Neben dem Amerikaner sitzt das Ehepaar aus Kroste-
witz bei Leipzig. Er hat sein Gut vorteilhaft der Stadt
Leipzig abgetreten und kauft sich täglich eine Nilpferd-
peitsche. Er sammelt. Seine Frau findet Ägypten schmutzig
und fühlt sich hier nicht glücklich. Es liege etwas Jü-
disches in der ägyptischen Atmosphäre, behauptet sie, so-
zusagen das Urjüdische, und das kann sie nicht ausstehen.
Babuschka tobte innerlich.

In der Mitte des Tisches thront Josua Dohn. Links von
ihm kommt Dettenberg, der Nationalökonom aus Alten-
essen, der schon längere Zeit hier lebt, die Gefälligkeit
selbst. Nächstens will er mich über die Verhältnisse im
Deutschen Verein aufklären, obwohl er sich eigentlich vor-
genommen habe, nicht mehr über diese Dinge zu reden.
Nebenbei bemerkt hat man vor kurzem außer dem Deut-
schen Verein einen Deutschen Klub gegründet. Es gibt zwei-
hundert Deutsche in Kairo, die Kellner mitgerechnet. —
Neben dem Westfalen am Kopf des Tisches sitzt ein aus
Oberschlesien vertriebener katholischer Pfarrer, der sich
in Ägypten Missionszwecken widmen will, ein behaglicher
Mann mit Patschhänden. Dann kommt der stille Schwabe,
Orientalist. Er spricht unverfälschten Stuttgarter Dialekt
und treibt Altarabisch. Sonntag will er uns auf den Mo-

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