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Meier-Graefe, Julius
Pyramide und Tempel: Notizen während einer Reise nach Ägypten, Palästina, Griechenland und Stambul — Berlin, 1927

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https://doi.org/10.11588/diglit.27195#0349
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EINSATZ

die individuelle Chance formell und praktisch aus. Das
ist der Punkt. Nicht in der manuellen Arbeit, wie der
Augenmensch, der nichts von der Natur der anderen Rasse
ahnt, annimmt, liegt die Härte. Die Glieder tun, was man
will, und wahrscheinlich gehorchen sie dem Juden leich-
ter als uns. Die Leistungsfähigkeit steht auf einem anderen
Blatt und kommt, da der Vergleich mit dem geborenen
Bauer wegfällt, nicht in Betracht. Aber das schematische
Einerlei, der prinzipielle Verzicht auf die Möglichkeit,
schneller als der Nebenmann vorwärts zu kommen, der
Verlust der Gelegenheit, das Abstellen jeder egoistischen
Phantasie. Es gibt keine Dummen, keine Klugen mehr, nur
Körper. Wohl kann man mit der Maschine nachhelfen, und
nichts liegt diesen modernen Siedlern ferner als Ablehnung
mechanischer Hilfen. Das bringt keine Erleichterung. Die
Maschine unterstreicht nur noch den Mechanismus. Ja,
wenn man Maschinen erfinden könnte, wenn Platz und
Zeit für Spekulation wäre! Was fängt der Brillenmensch
mit seiner Brille an? Wohin mit der Regung? Mich er-
schütterte der Anblick eines offenen Buches im Fenster
einer Baracke.

Es ist nicht so schlimm, sagt man. Der Deutsche sagt
es, der Engländer sagt es. Für jeden Drill und Parade-
marsch wäre dieser Sport eine Wonne. Der Jude hat sich
die Rute ausgesucht, deren Stacheln er allein zu schätzen
vermochte.

Viele dieser Menschen haben oder hatten die Fähigkeit,
sich geistig anzusiedeln. Deshalb brauchen sie nicht kul-
tiviert zu sein. In den Gassen Jerusalems treibt manches
Spinozagesicht winzigen Schacher und weiß trotzdem, was
man mit Gedanken anfangen kann. Womöglich hat es der
Jerusalemer nicht besser als der Siedler, aber er würde
sich mit Recht in der Kwuzah gekreuzigt fühlen. Sie tun
das Denken freiwillig ab, das wesentliche Denken, Ge-
spinst des Einsamen, das Refugium. Dafür sind sie eben

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