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Frieling, Kirsten O.; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Sehen und gesehen werden: Kleidung an Fürstenhöfen an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit (ca. 1450 - 1530) — Mittelalter-Forschungen, Band 41: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34757#0140

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2.2 Vom Stoff zum Gewand: Die Anfertigung von Kleidung

129

derlich. Sie gestaltete sich in der Regel so, daß der Schneider ein Kleidungsstück
nähte und es anschließend zum Besticken an den Seidensticker weitergab.746
Obwohl der Anteil der Seiden sticker, Kürschner oder Goldschmiede an der
Herstellung fürstlicher Kleidung keineswegs unterschätzt werden darf, fiel die
maßgebliche Arbeit zweifellos den Schneidern zu.747 Nachdem im 14. Jahrhundert
die Scharnierschere und die Metallnadel aufgekommen waren, hatte sich die Näh-
technik entscheidend verbessert.748 Die tägliche Arbeit eines Schneiders bestand
vornehmlich aus zwei Tätigkeiten, nämlich dem Zuschneiden der Stoffe und dem
Nähen der Kleidungsstücke. Das Zuschneiden nach Maß stellte die höhere Kunst
dar, nicht nur weil es die schwierigere, anspruchsvollere Arbeit war, sondern auch
da es angesichts der oft relativ hohen Preise für Stoffe kostspielig werden konnte,
wenn sich der Schneider verschnitt. Infolgedessen gab es in spätmittelalterlichen
Schneiderwerkstätten üblicherweise eine klare Aufgabenteilung: Die Meister führ-
ten die Schnitte aus, delegierten das Zusammennähen der Gewandteile jedoch an
Gesellen, Lehrlinge oder Näherinnen.749 Auch behielten sich die Schneidermeister
Anproben und Änderungen vor.750 Anschaulich zeigt dies eine wahrscheinlich
oberitalienische Handschriftenminiatur vom Ende des 14. Jahrhunderts, die das
Innere einer Schneiderei vor Augen führt. Auf dem großen Arbeitstisch sitzen zwei
junge Schneider und nähen. Der Schneidermeister nimmt unterdessen eine An-
probe vor und prüft an einem Kunden den Sitz des Gewandes.751 Zusätzlich zu den
Schneidern bezahlten zum Beispiel die Erzbischöfe von Mainz mehrfach Näherin-
nen für geleistete Dienste.752 Auch als die Brautausstattung für Markgräfin Maria
von Brandenburg zusammengestellt wurde, war eine Näherin beteiligt, die ihre
Arbeit vergütet bekam.753
Zu den Aufgaben der Hofschneider gehörte nicht allein die Anfertigung neuer
Gewänder für die fürstliche Familie, für Teile der Dienerschaft und, sofern der
Fürst sie in Auftrag gab, für (ausgewählte) Mitglieder seiner Klientel, sondern sie
waren ebenso für das Umarbeiten und Instandhalten alter Kleidungsstücke zu-
ständig. Daß die Wiederverwertung gebrauchter Gewänder an Fürstenhöfen eine
beachtliche Rolle spielte, ist bereits hinreichend dar gelegt worden. Das gleiche gilt
anscheinend für die Erhaltung abgetragener Kleidungsstücke, für die die Schnei-
der ebenfalls Sorge trugen. Wenngleich die Quellen darüber nur sehr spärlich
746 Ebd., S. 6.
747 Hofschneider befassten sich mit anfallenden Schneiderarbeiten jeglicher Art, kümmerten sich
also nicht ausschließlich um Kleidung, sondern um sämtliche am Hof benötigten Textilien -
von Fahnen über Wandbehänge, Betthimmel und Baldachine bis hin zu verschiedenen
Decken und Kissen.
748 Elkar, Schneider, Gewand schneider, 1995, Sp. 1514.
749 Ebd. Das spezialisierte Schneiderhandwerk, in dem der Schneider zu einem Fachmann für
den Zuschnitt von Stoffen avancierte, entstand ab dem 12. Jahrhundert. Bezeichnenderweise
leitet sich die Berufsbezeichnung vom Schnitt ab. Kühnei (Hrsg.), Bildwörterbuch der Klei-
dung und Rüstung, 1992, S. 138; Raudszus, Die Zeichensprache der Kleidung, 1985, S. 177-178.
Lachaud, Texiles, furs and liveries, 1997, S. 94, konstatiert diese Aufgabentrennung für den
englischen Königshof um 1300.
750 Piponnier, Costume et vie sociale, 1970, S. 348.
751 Siehe Abb. 42.
752 Die Rechnungen der mainzischen Verwaltung in Oberlahnstein, hrsg. von Volk, 1990, S. 128,
S. 166, S. 277, S. 343, S. 380, S. 387.
753 GhStA Berlin, BPH, Rep. 41II W1 3, fol. 8r.
 
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