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Frieling, Kirsten O.; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Sehen und gesehen werden: Kleidung an Fürstenhöfen an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit (ca. 1450 - 1530) — Mittelalter-Forschungen, Band 41: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34757#0146

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2.2 Vom Stoff zum Gewand: Die Anfertigung von Kleidung

135

damit der Fürst nicht jedes Mal erneut Modell sitzen mußte783 - in der Schneiderei
über Notizen bezüglich der aktuellen Körpermaße der am Hof lebenden Mitglieder
der fürstlichen Familie. Für gewöhnlich wird der Fürst oder die Fürstin jedoch ei-
nen Schneider zu sich gerufen haben, wenn das Nähen eines neuen Kleidungs-
stückes anstand. Falls eine französische Handschriftenminiatur von 1418 das übli-
che Prozedere abbildet, begab sich der Schneider dafür zusammen mit einem
Gehilfen, ausgestattet mit Stoffballen, Schere und einem Maßstock, in die fürstli-
chen Gemächer.784
Während der Schneider an einem Gewand arbeitete, war sicherlich die eine
oder andere Anprobe notwendig, um dessen Sitz zu überprüfen und es gegebenen-
falls erneut abzustecken. Leider finden sich kaum Hinweise darauf, wie das Anpro-
bieren an deutschen Fürstenhöfen an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert vor
sich ging. Am Innsbrucker Hof gab es für die anmessung vnnd anlegung der klaider die
Regelung, daß wann die junckfrawen klaider od[er] beschuechung messen od[er] anlegen
wellen, sol solhs in beywesen der hofmaisterin mit guet Ordnung in ainem gemach der darfur
verordent werden sol, beschehen.785 Aufschluß über die Prozedur gewährt wiederum
eine französische Handschriftenminiatur aus dem Jahre 1418, die eine Anprobesi-
tuation darstellt. Zu sehen ist ein Schneider, der einem vornehmen, wohlhabenden
Auftraggeber bei ihm zuhause ein für ihn genähtes Gewand präsentiert. Unterdes-
sen probiert in einer anderen Szene ein weiterer Kunde zusammen mit dem Schnei-
dergehilfen ein Kleidungsstück an. Auf einer im Bildhintergrund befindlichen
Schneiderpuppe ist außerdem ein Gewand drapiert.786 Anproben wurden demnach
sowohl am Kunden als auch an der Schneiderbüste vorgenommen. Alternativ
konnte eine Anprobe anscheinend auch in der Schneiderwerkstatt erfolgen. So
zeigt die bereits erwähnte italienische Miniatur aus dem ausgehenden 14. Jahrhun-
dert, wie sich ein Schneider im Inneren seines Ateliers vor einem Kunden herab-
beugt, um die Länge eines Kleidungsstückes zu prüfen.787 Wurde für einen Fürsten
oder eine Fürstin ein Gewand genäht, kam der Schneider jedoch sicherlich zur An-
probe ins Haus.788
Befand sich jemand, für den ein Gewand genäht wurde, nicht vor Ort, mußte
die richtige (Kleider-)Größe auf andere Art und Weise ermittelt werden. Fürstin-
nen, die Gewänder oder Hauben für entfernt wohnende Verwandte herstellten und
nicht sicher waren, ob sie passen würden, behalfen sich, indem sie sich ein entspre-
chendes Kleidungsstück oder eine Kopfbedeckung zuschicken ließen. Diese ver-
wendeten sie dann als Vorlagen, um die erforderliche Größe abzuschätzen. Als Eli-
sabeth von Württemberg für ihren Stiefbruder Markgraf Friedrich von Brandenburg
eine Haube machen wollte, bat sie ihn um eine alte Haube als Muster, weil sich eine
frühere von ihr angefertigte Haube als zu lang erwiesen hatte:

783 So in der Werkstatt Cranachs; Kleidung und andere Details wurden jedoch aktualisiert. Lu-
dolphy, Friedrich der Weise, 1984, S. 108.
784 Siehe Abb. 40a. Holzleisten, wie der Geselle eine unter den Arm geklemmt trägt, wurden zum
Abmessen der Stoffe benutzt. Vgl. auch Abb. 1.
785 TLA Innsbruck, Handschrift 2470/11, fol. 8r.
786 Siehe Abb. 40b.
787 Abb. 42.
788 Nach Piponnier, Mane, Se vêtir, 1995, S. 41, galt das für »[l]es grands personnages« insgesamt.
 
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