Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Frieling, Kirsten O.; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Sehen und gesehen werden: Kleidung an Fürstenhöfen an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit (ca. 1450 - 1530) — Mittelalter-Forschungen, Band 41: Ostfildern, 2013

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34757#0230

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
3.1 Die Kleidung der Reichsfürsten

219

identischen Gewändern aus, die nicht blutsverwandt und (noch) nicht miteinander
verschwägert waren. Es handelte sich um Yolande von Frankreich und Annabelle
von Schottland, die am Hof lebenden Verlobten der beiden ältesten Herzogssöhne
Amédée IX. und Louis.315 Nachdem jede von ihnen bereits im September 1445 einen
>chaperon< aus schwarzem Tuch aus Montivilliers erhalten hatte, wurden im April
des darauffolgenden Jahres für die beiden Mädchen einheitliche >robes< aus blau-
grünem (>pers<) Tuch aus Montivilliers angefertigt, die an den Säumen, an den Är-
meln und am Kragen mit Feh (>vair<) besetzt waren.316
Zum Teil mag die unterschiedliche Zusammensetzung der Trägergruppe ganz
pragmatischen Gründen geschuldet gewesen sein. Welche der Fürstenkinder iden-
tisch eingekleidet wurden, hing sicherlich davon ab, für welchen Anlaß die Gewän-
der vorgesehen waren. Geht man davon aus, daß einheitliche Kinderkleidung - vor
allem aufwendige Kombinationen aus mehreren, farblich aufeinander abgestimm-
ten Kleidungsstücken - vornehmlich zu festlichen Gelegenheiten getragen wur-
den, richtete sich der Trägerkreis freilich danach, wer von den Fürstenkindern an
dem betreffenden Ereignis überhaupt teilnahm. Zum Teil scheint jedoch hinter den
Personenkonstellationen weitaus mehr zu stecken, insbesondere was die Klei-
dungspraktiken der Mädchen anbelangt. Indem den Schwestern durch eine ein-
heitliche Gewandung ihre aktuellen bzw. zukünftigen Schwägerinnen optisch an
die Seite gestellt wurden, wurde nicht nur schlicht die Einbindung der Angeheira-
teten in ihre neue Familie vestimentär bekräftigt oder die der Verlobten vorwegge-
nommen, sondern den gegenwärtigen bzw. angehenden Schwiegertöchtern wurde
dadurch nach außen sichtbar die gleiche innerfamiliale Position zugestanden wie
den eigenen Töchtern.317 Daß diese Dresscodevariante lediglich das weibliche Ge-
schlecht betraf, ist insofern wenig erstaunlich, als Fürstensöhne nach der Heirat
nicht in die Familie ihrer Ehefrauen wechselten.
An französischen Höfen barg der Dresscode, der einheitliche Kleidung für
fürstliche Geschwisterkinder vorsah, unterschiedliche Ausformungen auch im
Hinblick auf die Ausstattung der Gewänder. So fertigten beispielsweise die Hof-
schneider Ludwigs von Savoyen im April 1447 vier gleichartige, aber eben nicht
identische >robes< für vier der herzoglichen Söhne an. Obschon alle vier >robes< aus
Scharlach bestanden, wichen sie in Teilen voneinander ab: Während die Gewänder
von Louis und Janus, den beiden Ältesten, übereinstimmend mit Marderpelz
(>oreillons de martres<) besetzt, mit Marderkehle (>cols de martre<) gesäumt und an
den Ärmeln mit Lammfell eingefaßt waren, wies die >robe< ihres Bruders Philippe
statt eines Pelzbesatzes aus >oreillons de martres< einen Pelzbesatz aus Zobel-
schwänzen (>queues de martres zibelines<) auf; außerdem warf sie im Gegensatz zu
den >robes< von Louis und Janus keine Falten. Pierres Scharlachgewand glich wie-
derum demjenigen von Philippe, hatte jedoch ein Futter und Säume aus >peau de
gris<.318 Derartige Differenzierungen störten zwar nicht das einheitliche Erschei-
nungsbild, das die Kinder trotz der im Detail vorgenommenen Modifikationen
315 Page, Vêtir le prince, 1993, S. 81.
316 Ebd., S. 89.
317 Dieses Prinzip der Beiordnung von angeheirateten Verwandten und Blutsverwandten spiegelt
sich auch in Verwandtschaftsbenennungen, denn Schwiegertöchter wurden als >Töchter< be-
zeichnet. Dazu Spieß, Familie und Verwandtschaft, 1993, S. 499.
318 Vgl. Page, Vêtir le prince, 1993, S. 93.
 
Annotationen