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Frieling, Kirsten O.; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Sehen und gesehen werden: Kleidung an Fürstenhöfen an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit (ca. 1450 - 1530) — Mittelalter-Forschungen, Band 41: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34757#0246

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3.1 Die Kleidung der Reichsfürsten

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und ausführliche Schilderung, die er dem Ereignis widmet, nahe. Neben den im
Wind flatternden Fahnen gefiel ihm offenbar besonders das Zusammenspiel von
Kleidung und Rüstung, welches die ihm der Beschreibung nach zu schließen
fremde Schlitzung der Kleidung ermöglichte. Dadurch, daß die Schlitze in der Klei-
dung immer wieder den Blick auf die darunter getragenen Rüstungen freigaben,
wurde ein optisch reizvoller Effekt erzeugt, der insbesondere bei Bewegungen zum
Tragen kam. Das Wechselspiel von farbigem Stoff und blanken Rüstungen hat an-
scheinend einen herrlichen Anblick geboten.404 So wie den päpstlichen Gesandten
die deutsche geschlitzte Kleidung fremd war, mutete umgekehrt den Deutschen die
italienische Kleidung fremd an. Über das Erscheinen des Bischofs von Brixen beim
Augsburger Reichstag 1530 wird festgehalten, daß er und sein Geleit am 9. Juni in
schwarzer Kleidung auff Welsche manier einzogen.405 Herrschertreffen konnten dem-
nach ebenso zur Verbreitung von Moden und zur Steigerung des Bekanntheitsgra-
des von Moden in anderen Regionen beitragen wie Fürstenhochzeiten.
3.1.3.3 Zwischen Einbindung und Abgrenzung
Das Bild, das sich ergibt, wenn man reichsfürstliche Kleidungspraktiken im späte-
ren 15. und frühen 16. Jahrhundert vor dem Hintergrund ihrer kulturellen Bedingt-
heit genauer in den Blick nimmt, gestaltet sich demnach höchst ambivalent. Einer-
seits konstituierten sich Reichsfürsten und Reichsfürstinnen über die Kleidung als
kulturelle Gruppe, indem sie sich vestimentär von Anderen abgrenzten, und zwar
auf europäischer, länderspezifischer, häufig national gewendeter oder regionaler
Ebene. Andererseits wurden diese kulturellen Abgrenzungen durch die Über-
nahme von Moden aus anderen Ländern oder Regionen immer wieder unterlaufen
bzw. durchbrochen. Dabei kommt es mit der Ausbreitung einer Mode zwangsläu-
fig immer wieder zu Verschiebungen der Abgrenzungsebenen. Aus einer regiona-
len kann eine überregionale Mode werden, die sich anschließend in ganz Europa
durchsetzt. Die verschiedenen Ebenen kultureller Grenzen, wie sie sich in den Klei-
dungspraktiken von Reichsfürsten und Reichsfürstinnen niederschlagen, verhal-
ten sich also dynamisch zueinander und sind aufs engste miteinander verzahnt.
Als ihr Ankerpunkt erweist sich der Fürstenhof, der gewissermaßen quer zu
ihnen liegt und auf alle drei Kategorien - Europa, Nation, Region - bezogen wer-
den kann. Gerade bei der mittels Kleidung erfolgenden Ausprägung einer kulturel-
len Identität der Reichfürsten im ausgehenden 15. Jahrhundert spielt dieses integra-
tive Moment des Hofes eine Rolle, erweisen sich doch Europa, Nation und Region für
das reichsfürstliche Kleidungsverhalten implizit als Bezugspunkte, an denen die
Fürsten ihr Selbst- und Fremdbild immer wieder neu ausrichteten - freilich sicher-
lich ohne sich dessen bewußt zu sein. Identität wird permanent in sozialer Interak-
tion verhandelt, bedarf lebenslanger Anpassung und ist somit höchst fragil. Gerade
deshalb zielt sie immer auf die Schaffung von Kontinuität und Kohärenz ab. Auch
in den fürstlichen Kleidungspraktiken an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert

404 [PJulchrum erat videre sub lacernis et in capitibus fulgentia arma et tot a vento magna parvaque agitari
vexilla. Ebd., S. 473. An anderer Stelle nennt Patrizi die geschlitzte Kleidung artificiose. Ebd.,
S. 472.
405 Cyprian, Historia der Augspurgischen Confession, 1730, S. 79.
 
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