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Frieling, Kirsten O.; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Sehen und gesehen werden: Kleidung an Fürstenhöfen an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit (ca. 1450 - 1530) — Mittelalter-Forschungen, Band 41: Ostfildern, 2013

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https://doi.org/10.11588/diglit.34757#0297

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286

3. Dresscodes und ihre Entschlüsselung

die Hofkleidung ausgehändigt bekam, hatte es der Fürst in der Hand, mittels der
Materialqualität verschiedene Hofränge zu kennzeichnen und voneinander abzu-
setzen und damit die am Hof bestehende soziale Hierarchie visuell umzusetzen -
in welchem Ausmaß diese Unterscheidungen im einzelnen auch immer ausgefallen
sein mögen. Ferner ermöglichten außer der Reihe verteilte Stoff deputate oder Klei-
dungsstücke, die wegen ihres relativ hohen materiellen Wertes eine besondere Gra-
tifikation darstellten, die gezielte Auszeichnung einzelner Hofleute.
Die größte Bedeutsamkeit als Herrschaftsinstrument kam der Hofkleidung je-
doch im Kontext der zunehmenden Hegemonialbestrebungen der Fürsten im aus-
gehenden 15. Jahrhundert zu.695 Das in Form der Livree ausgegebene Hofgewand,
das als Ausweis der Zugehörigkeit zum Hof galt, bot dem Fürsten die Möglichkeit,
seine adelige Klientel wenigstens vorübergehend sichtbar an den Fürstenhof zu
binden und damit visuell in ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis zu rücken. Dies
lag umso mehr im fürstlichen Interesse, als Größe und soziale Zusammensetzung
des Gefolges dessen Wert als Statussymbol ausmachten, mithin die Begleitung von
möglichst vielen Grafen und Herren als Ausweis der Hegemonialstellung und da-
mit des politischen Gewichts eines Fürsten galt.696 Es läßt sich daher gegen Ende des
15. Jahrhunderts vermehrt beobachten, daß fürstliche Landesherren immer stärker
versuchen, Grafen und Herren aus der Umgebung als Livreeträger zu verpflichten.
Diese Erfahrung musste etwa Graf Wilhelm von Henneberg im Vorfeld der
Vermählung Herzog Georgs von Sachsen mit der polnischen Königstochter Bar-
bara im Herbst 1496 machen.697 Wilhelm hatte anscheinend vor, mit einem von ihm
selbst eingekleideten Gefolge an der Hochzeitsfeier teilzunehmen, denn er schrieb
einen Brief an den Ritter Ludwig von Hutten, in dem er ihn darüber unterrichtete,
daß er, Wilhelm, eine Einladung zur bevorstehenden Hochzeit in Leipzig erhalten
hatte, und diese Mitteilung mit der Aufforderung verband, Ludwig solle sich mit
sechse pferden Rüsten vnd mit cleydunge, als wir euch hie tuch zu Rocke vnd kappen mit
schicken, vnd die kappen sollen sein als ir in dem tuch ein verzeichnuß findet, vnd sollen
welisch Rocke sein, die manforn gurttet vnd nicht hinden.698 Eine Woche später traf indes
am hennebergischen Hof ein Schreiben Kurfürst Friedrichs des Weisen und Her-
zog Johanns von Sachsen ein, das Wilhelm seinerseits aufforderte, er solle sich
sambt knechten, guten pferden, harnasch vnd spissen mit dem besten vleisse Rüsten vnd in
vnnser hofe färbe, so wir euch hiermit schicken nach ingelegtem muster cleyden.699 Der Graf
von Henneberg sah sich also vor die Wahl gestellt, entweder sich und sein Gefolge
in eine eigene Livree zu kleiden oder aber in der Livree des sächsischen Herzogs-
hauses aufzutreten. Wie er sich entschieden hat, ist leider nicht überliefert. Wenn
man allerdings die größere Abhängigkeit der Grafen und des niederen Adels von
den Fürsten am Ende des 15. Jahrhunderts in Rechnung stellt, kann man wohl mit

695 Vgl. dazu am Beispiel der Herzoge von Sachsen Stievermann, Die Wettiner als Hegemonen,
2003. Keupp, Die Wahl des Gewandes, 2010, S. 176, beläßt es in diesem Zusammenhang bei
dem knappen Hinweis, daß »Hofkleider, Farben und Devisen [...] der Visualisierung raum-
übergreifender Hegemonialnetzwerke« dienten, »jedoch gleichfalls Vehikel der territorial
weitgespannten Bündnispolitik innerhalb des Hochadels« waren.
696 Spieß, Kommunikationsformen im Hochadel, 2001, S. 266.
697 Zur Hochzeit vgl. Schirmer, Die Hochzeit Georg des Bärtigen, 2002.
698 Bojcov, Der diskrete Charme der Herrschaft, 1997, S. 45.
699 Ebd., S. 46.
 
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