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Münzenberger, Ernst Franz August; Beissel, Stephan
Zur Kenntnis und Würdigung der Mittelalterlichen Altäre Deutschlands: ein Beitrag zur Geschichte der vaterländischen Kunst (Band 2): Mit 100 photogr. Tafeln — Frankfurt a.M., 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.15164#0044

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Marien-Altar zu Zranten läßt sich nicht in Abrede stellen. Die
Vermutbung, der jüngere Douvermann, welcher die der
Nenaissance augebörenden Theile jenes ^antener Altares
schnitzte, oder ein anderer Aalkarer Meister sei nach Antwerpen
gezogen und babe von dort aus den Altar nach Rleve ge-
liefert, würde darum nicht ganz ohne Grund sein. Indessen
liegen doch einstweilen keine Anhaltsxunkte vor, welche dieselbe
genügend stützen konnten. Mie alle Antwerpener Altäre ist
er dreitheilig und in der Ntitte überhöht. Unten ist in drei
Abtheilungen der Stammbaum Iesscs dargestellt. s)n der
Ulitte schläft der Altvater; aus seiner Brust wächst ein Baum,
der rechts und links einen Aönig, oben die Gottesmutter trägt.
Die Aeste gehen dann in die beiden seitlichen Abtheilungen, wo in
ihnen je fünf Aönige sitzen. vor IZesseist der Dordergrund der Ab-
theilung durch eine architektonische Anlage mit drei Nundbogen nach
außen hin einigermaßen abgeschlossen. s)n der oberen Ab-
theilung stehen die drei bei Passions-Altären üblichen Bcenen.
Auf der Lpistelseite hilft im Vordergrunde Simon Iesus sein
Areuz tragen, und reicht veronika ihm ihr Tuch. s)n der
zweiten Reihe sind drei ksenker, in der dritten sZohannes,
Nkaria und ein Uiann. s)m Niittelstück des Bchreines hat
die Areuzigungs-Gruppe einundzwanzig Figuren: vier Reiter,
sechs Fußsoldaten, zwei vornehme Iuden, die Gottesmutter,
sZohannes, die drei Nlarien, Lhristus mit den Schächern
und einen Lngel. s)n der dritten Abtheilung stehen um
Lhristi Leiche zwei Nlänner i einer hält, wie gewöhnlich, den
Leichnam halb aufrecht, in der zweiten Reihe stehen Niaria
und sZohannes, in der dritten die drei Nkarien. Bei reichern
Altären finden wir, wie in der schönen Areuzabnahme des
Angeliko, nicht nur einen Nkann, der die Dornenkrone zeigt,
sondern auch einen zweiten, welcher die Nägel emporhebt.
Dies Vorweisen der Leidenswerkzeuge ist von dramatischem
tVerth und dürfte auch bei neueren Werken nicht zu über-
gehen sein. lVerden daneben in Nkaria und in ihrer Umgebung
die verschiedenen Aeußerungen des Schmerzens geschickt ab-
gestuft und gezeigt, so känn die lvirkung nicht fehlen. Neben
der Kreuzigung sieht man in der Umrahniung die kleinen
Gruppen der Darstellung im Tempel und des zwölfjährigen
Lseilandes im Temxel, über ihr die Flucht nach Aegyxten.
Der Altar zeigt also in der obern Liälfte die sieben Schmerzen
Nkariä, und wäre darum auch heute noch nach ihnen zu
benennen.

III. Flämische Altiire in Mestfalen.

Da die Rheinxrovinz bis hinab zuni Niederrhein eine
solche Nkenge aus den Niederlanden und besonders aus
Antwerxen stammender Altäre besitzt, durfte man erwarten,
auch in IVestfalen wenigstens einige flandrische Schreine zu
finden. Bo viele zu entdecken, sogar hervorragende, die
rheinischen und belgischen wenigstens an Größe weit überragende
IVerke zu entdecken, war eine überraschende Thatsache. Bie
mußte um so mehr auffallen, weil die bekanntesten und besten
kverke über westfälische Aunst nichts davon meldeten. Lübke
handelt in seinem, freilich bereits s8öZ erschienenen Buche
über „die nüttelalterliche Aunst in westfalen", S. fl86 f. über
„Geschnitzte Altäre und Verwandtes". Lr nennt die meisten
dortigen Altarschreine und versucht eine Gruxxirung, ohne
jedoch die aus dem Ausland gekommenen tVerke als fremde
zu erkennen oder einer und derselben Gruppe zuzuweisen.
Summarisch und ohne jede Aritik sind die in seiner Geschichte

der plastik Z. Aufl. II, 7s-s gegebenen Nachrichten über west-
fälische Bildnerei von s-fZO—sZZO. Alle bedeutendere flämische
Altäre sind einfachhin als westfälische Arbeiten registrirt.
Lbenso ist es in seiner Geschichte der deutschen Aunst S. Z26.
Andere Bücher verfahren ähnlich, selbst im ersten Bande des
vortrefflichen IVerkes: „Die Runst- und Geschichts-Denkmäler
der provinz westfalen" ist keiner der dort behandelten flämischen
Altäre als solcher erkannt und gekennzeichnet. Mir hebsn
also hier zum ersten Male eine werthvolle Gruppe Antwerpener
Altäre, aus der Zahl westfälischer chchreine aus.

s. Lin etwa 2 40 in breiter, also niittelgroßer, durch
die an vielen Stellen eingebrannte ksand als Antwerpener
Arbeit beurkundeter Schrein steht auf dem Lsochaltare zu
Lsaltern. Zn der untern Reihe find sechs Gruppen: die
verkündigung und veimsnchung, die Anbetung der Lsirten und
der Rönige, die Beschneidung und Darstellung, in der obern
drei: die Areuztragung, die Rreuzigung und die Beweinung,
in deren ksintergrund die Abnahme vom Rreuze sich vollzieht.
Um die beiden Gruppen der Rreuztragung und Beweinung
geht, wie in Aldenhoven, Rempen, Gsnabrück, pailhe u. s. w.
die Rehle ini Rundbogen herum. sin ihr stehen bei der
Rreuztragung, die Geißelung und Dornenkrönung, neben der
Rreuzigung sechs Bakramente, neben der Beweinung die letzte
Gelung und die Lrscheinung Lhristi vor Nkagdalena. Flügeb
fehlen, die Grupxen sind mehr gedrängt, als in andern aus
Antwerpen bezogenen Merken. Die Bäume der Figuren
haben goldene Buchstaben ohne 5inn auf Roth oder Blau
und Grnamente. Das farbige Futter der Gewänder hat viel
Gold. Für das Rostüm sind frei voni Isiiupte herabwallende
und in einer Bogenlinie auf die Lchulter fallenden Schleifen
sehr beliebt. Lin großer Baldachin findet sich nur über der
mittleren Grupxe: über der Rreuztragung und Beweinung
steht kein vieltheiliges Gewölbe, sondern alle Ripxen gehen
von den fünf Raxitälen der dreiseitigen Nische zu eineni im
vordergrund liegenden Bchlußstein. Alle Ivände haben Fenster.
Sehr schön ist die letzte Gruxpe; denn in ihr bilden zuerst
siohannes, Nkaria und ein die Leiche Lhristi stützender Nkann
ein Dreieck, darüber aber sind die beiden zur Beite, in den
Rehlen stehenden Figuren mit den fünf bei der Abnahme
verwendeten zu einem zweiten Dreieck geordnet. Zur cheits
sind dann noch oben als füllende Figuren angebracht: em
vornehmer Nkann, der die Nägel zeigt, und eine Frau. Die
Dornenkrone weist ein anderer Nkann vor, unten im vorder-
grund, in der linken Rehle. Die reiche, in vier Neihen auf-
gebaute Rreuzigungs-Gruppe hat in der ersten und zweiten
Reihe von oben je vier um die drei Rreuze gestellte Boldaten,
in der dritten, am Fuße des Rreuzes Lhristi vier Neiter,.
unten links die Grupxe der Schmerzensniutter mit Zohannes
und den drei Nkarien, rechts drei weitere Soldaten. Raufende
venker und ähnliche triviale Figuren fehlensi)

i) Der am 20. Mai ;52o zu Lhren der hl. Agatha und Iohannes
d. T. geweilste, 2 in breite, 2,Z8 hohe Passions-Altar zu Dorsten (vgl.
Iahrbücher des vereins von Alterthumsfreunden im Rheinlande >88S
Lseft 82. 5. ^29) ist flämischen Ursxrungs. Man sieht auf der äußeren
Seite der Flügel unten das Gpfer Nelchisedechs und das Linsammeln
des Manna, in der Alitte die Linsetzung des hl. Altarsakraments, oben
zwei Scenen aus der Geschictste der Ltammeltern, so daß also das
Lssen von der verbotenen Frucht hier in Beziehung zur hl. Rommunion,
„dem Gegengift", gesetzt ist. Die innere Seite der Fliigel bietet
unten: die verlobung und vermählung Mariens, den Rindermord und
die Flucht; in der zweiten Reihe schlägt jdetrus dem Nalchus das Ghr
ab, wird Lhristns von Pilatus verurtheilt, in's Grab gelegt und steht
er von den Todten anf. Jn den kleinen, die überhölste Mitte schließen
den Flügeln malte der Meister die Lrscheinung Lhristi bei seiner

.ZO
 
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