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Münzenberger, Ernst Franz August; Beissel, Stephan
Zur Kenntnis und Würdigung der Mittelalterlichen Altäre Deutschlands: ein Beitrag zur Geschichte der vaterländischen Kunst (Band 2): Mit 100 photogr. Tafeln — Frankfurt a.M., 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.15164#0087

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Tonsole trägt. Aus der Lonsole zur Linkeu stcht die Statue
des hl. Zohannes d. T., zur Nechteu die des hl. Zohannes
Tv. unter einem reichen, obeu zur cheite des Aastens befestigten
Baldachin. Durch diese Säulchen, Statuen uud Baldachine
erscheint der Altar nach Schließung der Flügel nicht bloß be-
beutend breiter, sondern es wird auch dle durch die Seiteu-
wände des hohen Aastens gebildete gerade Linie künstlerisch ge-
brochen. Line Anordnung diescr Art erscheint in österreichischen
Altären aus dem Beginn des XVI. s)abrbundcrts bäufig.
2ie hängt enge zusainmen mit dem in jener Zeit allerorts
hervortretenden Bestreben, die Schreine möglichst malerisch zu
gestalten. Die predclla des Moosburger Altares ist oben bis
Zu H.ss m breit, ihre ksöhe hat das außerordentliche Maß
von in bei einer Tiefe von 0.75 m. Zn ihrer Alitte ist
eine der ksälfte der Breite gleichkommende, in flachen Bogeu
geschlossene und mit Flügelthürchen versehene tiefe Nische für
Neliquien des hl. Tastulus angebracht. Die Znnenseiten dcr
kleinen Flügel haben Neliefbilder der Derkündigung und der
Geburt Lhristi, die doch iu keinem Zusammenhang stehen mit
jenen Neliquien. Auf deu Außenseiten dieser Flügel sieht man
links den Lserzog Albert IV. mit seinen drei Löhnen, rechts
den Stiftspropst Theodorich Mayer von Nloosburg mit seinen
ll Lhorherren, in vortrefflicher vom Lsofmaler Lsans Schwab
aus wertingen ausgeführter Nlalerei. Iverden die Flügel
geöffnet, so legen sie sich auf die neben der Nische gebliebeneu
Theile der predella, welche links mit dem prachtvoll gezeich-
neten wappen des Ljerzogs, rechts mit dem von einem Lngel
gehaltenen wapxen der Stadt Nloosburg geziert sind. Die
Nückseite der predella erhielt ein Gemälde der Areuz-
tragung.

Der stark in die Länge gezogene Altarschrein enthält
drei große Nischen. Die mittlere ist breiter, durch zwei schlanke
ääulchen begrenzt und obeu so sehr überhöht, daß ihr reiches
Baldachinwerk in dieser Uebcrhöhung des Rastens erst ober-
halb der ebenfalls mit Baldachinen versehenen Beitentheile
beginnt. Diese Nlittelnische ist überdies, wie an mauchen anderu
süddeutschen Altären, nach hintcn hinausgebaut, so daß sie eine
größere Tiefe hat als die Seitennischen, wodurch die in ihr
befindliche Fsauptfigur, cine Nladonna, kräftigcr und plastischer
hervortritt. Letztcre steht auf einem hohen, originell construirtcn,
reichen Untersatz. Rechts von ihr ist die Btatue des hl. Lastulus,
des patrons der Nloosburger Stiftskirche, links diejenige des
hl. Aaisers bseinrich auf eine niedrige Lonsole gestellt. Die Figuren
haben edele Aöpse, aber unruhige und geknitterte Gewänder,
manierirte, geschweifte, tiefe und dünue Falten, welche ihneu
einen etwas weichlichen Lharakter verleihen.

Auf dem Schrein tanzten früher fröhliche putten, an deren
Ltelle mau rechts und links knieende Lngel setzte. Auf seiuem
mittlern, überhöhten Thcile halten zwci Lngel eine lironc über
dem im Schreiu stehenden Nladonncnbilde. Lin aus sechs
Bogenlinieu gebildeter, kleeblattartiger Nahmeu umschließt diese
Lngel und leitet in geschickter Art über zur Bekröuung.
Bis ist zierlich u»d lcicht. Nach rechts und links wird sie
flankirt durch die crwähuten, von unten aufgehenden Fialen.
Neben ihnen durchbrechen die gewundencn Beitentheile des
Altarschreines cine obcre Abschlußplatte. Sie entwickeln sich
oben zu eiuem zweitcn paar kräftigcrer, reich gestalteter
Fialen, zwischen denen über der Spitze jenes ausgeschweiften
Aleeblattbogens unter reichen Baldachinthürmchen das Bild des
Gekreuzigteu den ganzeu Altar überragt. Zu dcu Füßen seincs
Areuzes sieht man unter niedrigercn Baldachinen Nlaria und
Zohannes, etwas tiefer Lorbinian und chjgismund. Acht kleine

Lngel mit den LeidcNswerkzeugen stehen neben sechs Fialen
des Mberbaues und vollenden die reiche statuarische 2lus-
stattung. Da Nloosburg erst söOZ an Nerzog Albert I V. kam,
muß der Altar nach diesem Zahr entstanden sein. Nlan setzt
ihn in die Zeit zwischen jöOZ—söO? oder sZ20.

Leider ist das prächtige werk jetzt ohne Flügel. Dieselben
sind aber noch vorhanden 1 sie hängen in einem Gemach über
der Sakristei. Zhre interessanten, mit grauer Melfarbe über-
schmierten Neliefs chietcu Darstellungen aus dem Leben des
hl. Lastulus. Die kunstverständigcii. Berather der Nlayerschen
Anstalt glaubten, die Flügel xaßten nicht recht zum Schrcin.
Auf ihre veranlassung wurde der Altar s862 zu Nlünchen
restaurirt. Lr erhielt eine polychromirung mit reicher ver-
goldung und obligatem grün-grauen „chteinanstrich" h>. Das
moderne Aleid, das inan ihm angezogen hat, gehört aber so
wenig zu dcm altehrwürdigen werke, daß man nur wünschen
kann, es möge so bald als möglich wieder beseitigt und durch
eine Bemalung ersetzt werden; dann wird man auch gewiß
wieder die Flügel dem herrlichen Bchrein zurückgeben. werfen
wir zum Lchluß von der Airche aus noch einen Blick auf
die Gesainnttwirkung, so inüssen wir gestehen, daß die Isöhen-
richtung in diesem großen Altarbau so entschieden betont ist,
wie in irgend einem der „Altarkolosse" der Nenaissance und
des Noccoco. wird doch das ganze hintere Fenster durch den
Bchrein und seinen 2lufsatz verdeckt! Vb das xrincixiell so
verdammungswerth ist in einer Rirche, welche durch Seiten-
fenster genug Licht erhält? Der Altar gewinnt und die 2lugcn
der dem Gottesdienst Beiwohnenden leiden darunter sicher
nicht. Zst es denn angenehm, wenn der grelle Lonnenschein
durch ein Alittelfenstcr die ganze Nirche erfüllt?

l-. Freising, Miinchen «nd Umgegend.

s. Die obcrbayerischen Altarschreine zerfallen in drei, von
Freising, Nlünchen und Salzburg beherrschte Grupxcn. Zin
eigentlichen alten Bayern, das wir hier betreten,
finden wir eine Kunst, die sich von der fränkischen sehr unter-
scheidet. Ueberall merkt man den Nnterschied der Ltämme
und die Ligenart des Landes. Gegenüber der leichten, zier-
lichen, oft vornehmcu Kunstwcise, welche sich namentlich während
der letzten periode des Nlittelalters im Frankenland kundgibt,
gestaltet sich im eigentlichen Bayern alles viel einfacher, oft
sogar etwas derb. Am auffallendsten zeigt sich dieser Unter-
schied in der Architektur. Der Nlangel an bsausteinen, die
in alter Zeit aus Vesterreich bezogen werden mußten, er-
schwerte eine reichere Gestaltung der Baudenkinäler. Nlan
vergleiche nur die erste Kirche des Landes, die Liebfrauen-
kirche zu Nlünchen, oder die durch ihren schlanken, hohen
Thurm hervorragende Nlartinskirche in Landshut, oder den
durch alte kirchliche Lrinnerungen so ehrwürdigen Oom zu
Freising mit den Uirchen in Nürnberg. Bruchstein und die
Zlnwendung des in Franken wenig üblichen Ziegcls drücken
den bayerischen Kirchen ihr eigenthümliches Gepräge auf.

Bei den Altären zeigt sich die Ligenart im vorwiegen
einzelner Figuren oder Gruppen, im Aurücktreten des con-
struktiven Llcinents, häusig auch iin Nlißvcrhältniß zwischen
Bildwerk und Mrnament. Lctzteres erscheint oft zu dürftig,
schlägt aber auch ins Gegcntheil um und tritt überladen oder
wirr auf. vicle Figuren sind arg kurz und gedrungen; ihr

>) Lin bcgeistcrtcs Lob dicscr Restaiiratioii kanii maii im Kalcnder
für k. Lhristen, Liilzbach, Z878 §. 64 f. leseii.
 
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