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Münzenberger, Ernst Franz August; Beissel, Stephan
Zur Kenntnis und Würdigung der Mittelalterlichen Altäre Deutschlands: ein Beitrag zur Geschichte der vaterländischen Kunst (Band 2): Mit 100 photogr. Tafeln — Frankfurt a.M., 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.15164#0114

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TNittelalterliche Altäre

in der ^chweiz.

—-

Altäre zu Lhur.

ie in allen katholischen Ländern waren auch in
der Schweiz die Flügelaltäre, die Schnitzereien
oder Malereien beim Lnde des Mittelalters
fast zahllos. Das Münster zn Bern besaß
ehedem 2Z, die Rlosterkirche von St. Gallen ZI Altäre, Lie
sämmtlich mit gemalten oder geschnitzten 2lufsätzen, meist mit
Llügelaltären versehen waren.

Die Anhänger Zwinglis und Lalvins haben dannt gründ-
lich aufgeräumt. So wurde z. B. dis Raxelle des proxstes
Armbruster im Münster zu Bern, die über 6000 Rronen
kostete und inwendig wie auswendig voller „Götzen" war,
von den Bilderstürmern zerstört. Dieselben verbrannten am
Aschermittwoch fZ2^ zu Basel alle „Götzen" in zwölf
Lsaufen. Zn St. Gallen fuhren sie ^O wagen voll Bild-
werke und Lirchenzierden aus dem Rloster zu einem Lcheiter-
haufen, der Luß im Durchmesser hatte. Die übrigen Rirchen
der Stadt wurden in ähnlicher lVeise ausgeraubt. Damals
ging auch der Altar unter, den Maler bsans bserbst von
chtraßburg fZOO für das Rloster der Dominikanerinnen zu
Basel in Auftrag erhalten hatte^), sowie der Altar, den
der Maler bsans Lries mit dem Bildhauer bsans Geyler

für die Lranziskanerkirche zu Grandson begann^).

Zn Lolge jener wirren blieb in der ganzen Schweiz
kein einziger Lsochaltar mit dopxeltem oder gar dreifachem
Llügelxaar erhalten. „Was immer die Schweizer Museen
oder Sammler oder Liebhaber von sxätgothischen (Tafel)-
bildern besitzen, sind werke fremden Ursxrungs, oder mittel-
mäßige Schildereien von heimischen Neistern, unter dem Lin-
flusse der oberdeutschen sei es der schwäbischen oder der
Lolmaren Schule des Nartin Schongauer gemalt"^).

So ist der Llügelaltar im nördlichen Seitenschiff des
Domes zu Lhur um sZOO wohl zu Augsburg entstanden^),
Seine hohe, schmale Mitte enthält auf Goldgrund eine Rreuz-
tragung ^ neben ihr bieten die Znnenseiten der Llügel in je
vier Abtheilungen Soenen aus der Legende der hl. Ratharina,

si Der Lontrakt im Anzeiger für Runde deutscher vorzeit XIII
(Ms), Nürnberg, Lol. 272.

Revus cle lu Luisss eutboliizus V (1874) HribourA x. 239 s.

3) Rahn, Geschichte der bildenden Rünste in der Schweiz. Zürich,
Staub, Z876 S. 728 f., 733.

si Mittheilungen der antiquarischen Gesellschaft in Zürich XI, Z60;
Rahn a. a. V. S. 739.

der beiden Zohannes u. s. w. Nach Schließung zeigen sich
auf rothem Grunde dis großen, ftatuarisch aufgefaßten Liguren
der lch. Alban und Lhristophorus. Lhur besitzt aber auch
einen daselbst entstandenen Altaraufsatz, den besten der ganzen
Schweiz. <Lr steht im alten Dome und wurde nach Ausweis
eines noch vorhandenen Aktenstückes um vom Bildhauer
Zakob Ruß (nicht Rösch) geschnitztsi. Zn seinem Schrein
thront die Gottesmutter. Rlaria umfängt mit der Linken das
auf ihrem Schoß sitzende Rind und reicht ihm mit der Rechten
sxielend eine Birne hin, wonach es greift. Ein hellfarbiger
Schleier umrahmt ihr tjaupt, läßt jedoch die bjaare sicht-
bar. Das zuerst durch diese bsaare, dann durch den Schleier
umgebene Gesicht erhält somit doxxeltes Gewicht; zugleich gibt
der helle Schleier, das Antlitz der Mutter und das ganz un-
bekleidete Rind mit seiner Lleischfarbe dem Schreine ein helles
Lentrum, um das sich alles Uebrige gliedert. Zur Rechten
der Gottesmutter stehen die hh. Lmerjta und ihr Bruder
Lucius. Letzterer ist als Rönig dargestellt, weil er nach der
Ueberlieferung dem Throne entsagte, um in Deutschland und
in der Schweiz das Lvangelium zu predigen. Auf der linken
Seite folgen Ursula und Llorinus. Tin besonderer Rciz wird
erzielt durch den aus vierzehn Lngeln gebildeten tjofstaat der
bsimmelskönigin. vier kleinere befinden sich in und neben
dem ljalbmonde und den ihn begleitenden IVolken, wodurch
ein breiter Untersatz für die Ligur dcr Gottesmutter gebildet
wird. Znnerhalb der Sxitzen des nach unten gekehrten
Rkondes singen zwei knieende Tngel, neben ihm aber stehen
zwei musicirende. Gberhalb Ses lhauxtes Rkariä halten zwei
kleine schwebende Lngel eine große Rrone. Ligenartiger und
wirkungsvoller ist die Anordnung von acht großen, nur im
Brustbild geschnitzten Lngeln, welche einen Teppich hinter
den fünf Liguren des Schreines ausbreiten. Zur Rechten
der Gottesmutter tragen die vier vornehmern, wohl Lrzengel,
eine Stola, wie sie der Diakon beim lfochamt über der Brust
gekreuzt hat. Die vier Lngel zur Linken entbehren derselben,
sind demnach als Subdiakone gegeben.

i) Abbilduug I Tafel 7q. Bcschreibung im Anzeigcr für Schweize-
rische Geschichte VI (;875) 5. ;7o; Rahn a. a. V. S. 7U f.; Mtthei-
lungen der Antiquarischen Gesellschaft in Zürich XI, Z57 f.; Nüscheler,
Die Gotteshäuser der Schweiz I. ljeft. Bisthum Lhur. Zürich, Vrell,
Lüßli ;85-z S.

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