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Rahn, Johann Rudolf
Geschichte der bildenden Künste in der Schweiz: von den ältesten Zeiten bis zum Schlusse des Mittelalters ; mit 2 Tafeln und 167 in den Text gedruckten Holzschnitten — Zürich, 1876

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https://doi.org/10.11588/diglit.29817#0034

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2

Einleitung.

erst dann, wenn wir das Kunstwerk als einen Organismus betrachtet haben,
in dem sich der Geist seines Schöpfers, seiner Zeit und seines Ortes wieder-
spiegelt, sind wir im Stande ein sicheres Urtheil über den Werth desselben
zu fassen. Eine solche Methode setzt aber mancherlei Mittel und Wege
voraus, vor allem eine möglichst ausgedehnte und vielseitige Kenntniss der
Monumente selbst. Hätten wir z. B. den Werth und das Wesen der
deutschen Gothik zu würdigen, so wäre die Bekanntschaft der einheimischen
Monumente allein bei Weitem nicht ausreichend; denn wie dem Dome zu
Cöln die Kathedrale von Amiens, und der Trierer Liebfrauenkirche die
Kirche S. Yved zuBraine als specielle Vorbilder zu Grunde liegen, so weiset
Alles, was Deutschland überhaupt an frühgothischen Werken besitzt, auf
den Einfluss Frankreichs zurück. Aber es genügt auch nicht diesen bloss
formellen Zusammenhang zu betonen. Das Wesen der Gothik, die sich
diesseits und jenseits des Rheines unter gleichen Vorbedingungen entwickelt,
beruht auf tieferen Ursachen und selbst in der Heimath der Gothik wräre
ein Verständniss dieses Stiles noch immr unmöglich ohne die Kenntniss der
culturgeschichtlichen Wandlungen, welche demselben seinen Grund und
Boden bereiteten.

Dieses rege Forschen nun, ein Sammeleifer zunächst, der sich den
Monumenten selbst zuwendet, und Hand in Hand damit die jeweilige Be-
rücksichtigung dessen, was die historischen und culturgeschichtlichen
Quellen bieten, sind die eigentlichen Fundamente der heutigen kunstwissen-
schaftlichen Methode. Man mag darnach die Schwierigkeiten ermessen,
welche eine Vollendung des Gebäudes verzögern, wie langsam der Fort-
schritt und wrie gross dagegen die Nothwendigkeit sei, welche dem Ernste
nur ein beschränktes Gebiet der Arbeit und des Forschens gestattet. Der
Wunsch in diesem Sinne das bisher Erreichte durch einen Beitrag zu ver-
mehren und damit der Kunstgeschichte ein Gebiet zu eröffnen, welches
früher nur theilweise erforscht worden war, hat vor Allem dazu ermuntert,
das vorliegende Werk zu beginnen, und er hat auch stets wieder den Muth
gehoben, wenn es scheinen wollte, als ob mit grossen Schwierigkeiten nur
Kleines und Lückenhaftes zu fördern sei.

Wohl hat selten ein so viel durchreistes Land so wenig Beachtung in
kunstgeschichtlicher Hinsicht gefunden wie die Schweiz. Es scheint als ob
die Schönheit, mit der die Natur unsere Heimath so verschwenderisch aus-
gestattet hat, den Sinn und das Auge von den Kunstwerken ablenkte und
für sich allein beanspruchte. Und doch ist die Schweiz nicht arm an
solchen. Aus allen Epochen sind sie vorhanden und anzufangen mit den
ältesten Spuren einer einheimischen Cultur und den zahlreichen Ueberresten
römischer Ansiedelungen lässt sich die ununterbrochene Entwickelungs-
geschichte der bildenden Künste verfolgen. ln dem Klosterplane von
 
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