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Rahn, Johann Rudolf
Geschichte der bildenden Künste in der Schweiz: von den ältesten Zeiten bis zum Schlusse des Mittelalters ; mit 2 Tafeln und 167 in den Text gedruckten Holzschnitten — Zürich, 1876

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https://doi.org/10.11588/diglit.29817#0035

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Die Monumente.

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S. Gallen besitzt die Schweiz eines der wichtigsten Documente karolingischer
Kunst. Eine Reihe von Bauwerken vergegenwärtigt die vielseitige Ent-
wickelung des romanischen Stiles. Die Entstehung und die Ausbildung
der Gothik lässt sich von dem Uebergangsstile des XII. und XIII. Jahr-
hunderts bis in die Zeit der letzten Bauhütten verfolgen. Ebenso verhält es
sich mit den Schwesterkünsten der Plastik und der Malerei. Wenn auch
wahrhaft monumentale Arbeiten aus den tieferen Jahrhunderten des Mittel-
alters fehlen, so hat der stille Fleiss der mönchischen Kleinkünstler Hin-
reichendes hinterlassen, um sich daraus ein Urtheil über den Stil der älteren
Plastik zu bilden. Die frühgothischen Sculpturen der Genfer Kathedrale,
obwohl verschollen, gehören zu den anmuthigsten Erzeugnissen, welche die
decorative Plastik des Mittelalters hervorgebracht hat. Und was endlich die
Malerei betrifft, so genügt es auf die irischen und auf die karolingischen
Miniaturen hinzuweisen, deren die schweizerischen Bibliotheken Viele und
von den Besten besitzen. An mittelalterlichen Glasmalereien endlich sind
Cyklen von einer Vollständigkeit vorhanden, wie solche auch ausser Landes
nicht häufig Vorkommen.

Allerdings entziehen sich manche dieser Denkmäler dem Auge dessen,
der die Schweiz auf den gewohnten Pfaden durchwandert. Nicht im Ge-
birge, dessen Schönheit alljährlich den Zug der Fremden herbeilockt, hat
■das Mittelalter die Zeugen seiner Kunst hinterlassen. Selten auch
da, wo jetzt Handel und Wandel ihre Mittelpunkte finden. Dort nicht,
weil die Rauheit der Natur und die Bedürfnisslosigkeit ihrer Bewohner eine
künstlerische Blüthe verhinderten, hier aber hat die Neuzeit mit allen ihren
Bedürfnissen und dem ihr eigenen Drange nach Licht und Raum gegen das
Mittelalter einen förmlichen Vernichtungskampf eröffnet. Wir finden dess-
halb die Mehrzahl der Denkmäler weit abseits von der grossen Heerstrasse,
in der friedlichen Zurückgezogenheit, welche das mönchische Leben bedurfte,
in gewissen Städten ferner, die gleichsam aus dem Culturverbande der Neu-
zeit geschieden und heutzutage in ihrem romantischen Verfalle weit mehr
das Auge des Alterthumsfreundes als den Sinn des modernen Menschen
eibauen. Zuletzt auch hin und wieder im Getriebe der Grossstädte, doch
meist nur da, wo hohen Inseln gleich hier bald die Pfalz, dort ein Stift oder
der Sitz des Bischofes zur Wiege des Städtelebens geworden sind.

Was nun die Aufgabe selbst betrifft, eine Beschreibung der mittel-
alterlichen Kunstdenkmäler unseres Vaterlandes, ihre historische und ästhe-
tische Würdigung und, was damit zusammenhängt, ihre Stellung in dem
grossen Rahmen der allgemeinen Kunstgeschichte, so lässt sich die Schwie-
rigkeit dieses Unternehmens nicht verkennen. Wir denken dabei nicht
sowohl an die geringe Zahl von brauchbaren, wissenschaftlichen Vor-
arbeiten, auch der Umstand dass die Denkmäler über ein weites Gebiet
 
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