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Rahn, Johann Rudolf
Geschichte der bildenden Künste in der Schweiz: von den ältesten Zeiten bis zum Schlusse des Mittelalters ; mit 2 Tafeln und 167 in den Text gedruckten Holzschnitten — Zürich, 1876

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https://doi.org/10.11588/diglit.29817#0189

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i54

Das romanische Bausystem.

neuen romanischen Idiome entstanden. „Im Ganzen behielt man“, wie
Schnaase1) sich ausdrückt, „die alte Form nur bei, bis man Anderes an ihre
Stelle zu setzen wusste, während der Sinn beständig auf ein Neues ge-
richtet war, auf jenes gemeinsame Ideal des Mittelalters. Dieses Ideal stand
aber nicht als ein klares Bild mit festen Umrissen vor der Seele, sondern
äusserte sich nur als ein dunkles Formgefühl, das von dem Hergebrachten
nicht befriedigt war und es umzugestalten suchte. Die Entwickelung des
neuen Typus begann daher an kleineren Theilen, schritt zu wichtigeren fort
und brachte nur allmählig die völlige Umbildung des Alten hervor.“

Man pflegt noch jetzt diesen Stil nicht selten den „byzantinischen“'
oder den „lombardischen“ zu nennen. Allein das Wesen der byzantinischen
Architektur, die unter Justinian ihre höchste Entwickelung erreichte und
typisch erstarrt noch heute in den neugriechischen Ländern und in Russland
fortlebt, äussert sich in ganz anderen Merkmalen und was sodann die Ab-
leitung von der Architektur der Lombarden betrifft, so beruht dieselbe eben
nur auf einer irrigen, allzu frühen Datirung der romanischen Bauten
Oberitaliens. Endlich ist auch der Name eines „Rundbogenstiles“, mit
dem man zuweilen die Architektur dieses Zeitalters belegt, ein ungenügender.
Er spielt nur auf ein äusserliches Merkmal an, in welchem der Charakter
der romanischen Baukunst sich ebenso wenig erschöpft, als die formale
Anwendung des Spitzbogens das Wesen der Gothik bestimmt.

Wir versuchen es zunächst ein allgemeines Bild von der Architektur
der romanischen Epoche zu entwerfen. Wie im vorhergehenden Zeiträume
so bleibt auch jetzt die Basilika die in der kirchlichen Baukunst herrschende
Form der Anlage. Die Ausbildung dieser entwickelungsfähigen Grund-
gestalt ist es, welche die mittelalterliche Architektur mit all ihrem Kraft-
aufwande und mit dem ganzen Enthusiasmus fördert, welcher diesem Zeit-
alter eigenthümlich war. Die Hauptanlage der romanischen Basiliken ist
im Wesentlichen dieselbe, wie sie sich bereits in karolingischer Zeit in dem
Klosterplane von S. Gallen festgestellt hatte, dagegen lässt sich jetzt deut-
licher als früher ein Streben nach bestimmten Regeln, insbesondere für die
Disposition des Grundplanes erkennen. Da die meisten, oder doch die be-
deutendsten Kirchen des XI. und XII. Jahrhunderts in Verbindung mit
geistlichen Instituten, mit Stiften und Klöstern errichtet wurden, so galt es
in erster Linie für die Bedürfnisse der geistlichen Corporationen, d. h. für
eine zweckentsprechende Ausbildung der östlichen Theile, des Chores zu
sorgen.2) Die Anlage einer halbrunden Apsis im unmittelbaren Anschlüsse

1) Geschichte der bildenden Künste. Bd. IV, I. S. 109. der neuen Aufl.

2) Eine interessante Stelle enthält die Chronik von Petershausen, lib. III. c. 7.
bei Mone, Quellensammlung der Badischen Landesgeschichte. Bd. I. S. 141.
 
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