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Rahn, Johann Rudolf
Geschichte der bildenden Künste in der Schweiz: von den ältesten Zeiten bis zum Schlusse des Mittelalters ; mit 2 Tafeln und 167 in den Text gedruckten Holzschnitten — Zürich, 1876

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https://doi.org/10.11588/diglit.29817#0280

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Einfachheit der Monumente.

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wo Enttäuschung und Leere statt der verhofften Resultate folgen. Dem Forscher,
der die Schweiz durchwandert, bleibt das Wechselvolle solcher Erfahrungen
nicht vorenthalten. In einer Summe von Denkmälern, die man als eine
überraschend grosse bezeichnen muss, sind die mannigfaltigsten Entwicke-
lungsstufen und Richtungen der mittelalterlichen Kunst vertreten und fast
möchte man glauben, dass alle Strömungen derselben einmal an unseren
Bergen in der Mitte Europas angeschlagen hätten. Allein, wie gross der
Reichthum und wie ungeahnt die Mannigfaltigkeit der Denkmäler sich
darstellt, kaum ein einziges wird man finden, das den Vergleich mit den
Meisterwerken gestattet, welche die Kunst des Auslandes zu allen Zeiten
gefördert hat. Ringsherum sind solche vorhanden: die Münster von Ulm,
von Freiburg und Strassburg, die Bauten von Besan^on und Lyon, die
Kirchen Como’s und Mailand’s, aber sie sind die letzten Wahrzeichen,
Grenzsteine, über welche hinaus die Kunst der Nachbarländer nur Aus-
läufer sandte, verschiedenartige Richtungen von hüben und drüben, die
sich auf den Kanten eines seltsam combinirten Grenzlandes durchkreuzen
und, je weiter von ihrem Ausgangspunkte entfernt, um so geringere Leistungen
producirten.

Ueberall, soweit wir die Denkmäler diesseits der Alpen kennen, ist
diese abnehmende Kraft der fremden Impulse zu verspüren. Im Süden
freilich möchte man Anderes erwarten. Durch einen hohen Grenzwall,
die Alpen, sind diese Gegenden von der übrigen Schweiz getrennt und
somit auf den natürlichen Verkehr mit dem nahen und offenen Italien
angewiesen. Die Segnungen der Natur, die Schönheit der Landschaft,
der bewegliche Charakter des Volkes und die Nachbarschaft eines uralten
Culturlandes, das Alles erweckt die Voraussetzung, dass auch die Kunst
am Fusse der Alpen einer höheren Entwickelung theilhaftig geworden sei.
Und doch trifft diese Erwartung nirgends zu, ja man kann wohl sagen,
dass hier gerade die Enttäuschung die grösste sei, denn kein einziges
Denkmal ist aus dem Mittelalter vorhanden, welches nur einigen Anspruch
auf höheren Kunstwerth besässe.

Die einzige Erklärung für diesen Ausfall mögen die geschichtlichen Ver-
hältnisse des Landes bieten. Während im eigentlichen Italien die Erinnerungen
an die Antike, ein glänzendes Städteleben und die Gunst der grossen kirch-
lichen Mittelpunkte von jeher die künstlerische Entwickelung begünstigten,
stossen wir hier auf eine Menge kleiner Verhältnisse, von denen die Geschichte
nur unzureichende Nachrichten überliefert hat. Auch die Lage dieser Gegen-
den war eine verhältnissmässig ungünstige, denn wie früh schon ein leb-
hafter Verkehr sich über die einzelnen Pässe entwickelte, er ging an diesen
Thalschaften vorüber, wo eine spärliche Bevölkerung in zäher Anhäng-
lichkeit an den überlieferten Sitten fortlebte. Auch tiefer im Süden, wo sich
 
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