Martin Schongauer als Kupferstecher*).
Von W. v. Seidlitz.
Nachdem man die Stellung, welche Schongauer in der Entwickelungs-
geschichte der Kunst des XV. Jahrhunderts einnimmt, sein Hervorgehen aus
den Vlamen, seine geistige Verwandtschaft mit einigen italienischen Zeit-
genossen , seine Einwirkung auf Dürer und die übrigen deutschen Künstler zu
präcisiren gesucht, war A. v. Wurzbach der Erste, der in seinen 1880 er-
schienenen Studien über Schongauer unternahm, ein Bild der Entwickelung
des Meisters zu entwerfen. Die unglückliche Hypothese von der Identität Schon-
gauer’s mit dem Meister des Bartholomäusaltars machte freilich ein Gelingen
von vornherein unmöglich; aber Wurzbach’s Anregung wollen wir mit Dank
aufnehmen, da es ihm, wie wir glauben, gelungen ist, einige wichtige Punkte
hinsichtlich der Kupferstiche des Meisters zu fixiren.
Es genügt nicht, zu wissen, woher ein Künstler seine Anregungen ge-
holt hat, wie er auf seine Umgebung und die nachfolgende Generation ge-
wirkt hat; der ganze zwischen diesen Endpunkten liegende Zeitraum, der uns
den Künstler inmitten seines Schaffens, während der verschiedenen Wandlungen
seiner Auffassungs- und Darstellungsweise zeigt, gehört ebenso gut der Geschichte
an, bedarf ebenso gut der Ergründung, soweit sich für eine solche die Hand-
haben bieten. Werden, wie üblich, nur einzelne Hauptwerke herausgehoben
und ohne Rücksicht auf die Stellung, welche sie innerhalb des Entwickelungs-
ganges des Künstlers einnehmen, ihrem Gehalt nach geprüft, so erwächst daraus
nur geringer Gewinn für die Kenntniss des Künstlers und seiner Individualität,
die schliesslich doch noch von grösserem Belang ist, als die einzelnen aus ihr
geflossenen Werke. Wohl ist eine solch unpersönliche Betrachtungsweise bei
Behandlung der älteren Kunstepochen mit ihren vorwiegend typischen Verfahrens-
weisen durchaus am Platz; mit dem XIV. und mehr noch mit dem XV. Jahrhundert
*) Die nachfolgende Arbeit war im Wesentlichen bereits vor mehreren Jahren
niedergeschrieben. Da Dr. Scheibler in seinem Aufsatz über Schongauer (im letzten
Heft des Repertoriums) die Kupferstiche des Meisters nicht mit der gleichen Aus-
führlichkeit behandelt hat, wie die Gemälde, so hielt ich es für angemessen, jetzt
seiner Anregung Folge zu geben und meine Arbeit als Ergänzung der seinigen zu
veröffentlichen.
Von W. v. Seidlitz.
Nachdem man die Stellung, welche Schongauer in der Entwickelungs-
geschichte der Kunst des XV. Jahrhunderts einnimmt, sein Hervorgehen aus
den Vlamen, seine geistige Verwandtschaft mit einigen italienischen Zeit-
genossen , seine Einwirkung auf Dürer und die übrigen deutschen Künstler zu
präcisiren gesucht, war A. v. Wurzbach der Erste, der in seinen 1880 er-
schienenen Studien über Schongauer unternahm, ein Bild der Entwickelung
des Meisters zu entwerfen. Die unglückliche Hypothese von der Identität Schon-
gauer’s mit dem Meister des Bartholomäusaltars machte freilich ein Gelingen
von vornherein unmöglich; aber Wurzbach’s Anregung wollen wir mit Dank
aufnehmen, da es ihm, wie wir glauben, gelungen ist, einige wichtige Punkte
hinsichtlich der Kupferstiche des Meisters zu fixiren.
Es genügt nicht, zu wissen, woher ein Künstler seine Anregungen ge-
holt hat, wie er auf seine Umgebung und die nachfolgende Generation ge-
wirkt hat; der ganze zwischen diesen Endpunkten liegende Zeitraum, der uns
den Künstler inmitten seines Schaffens, während der verschiedenen Wandlungen
seiner Auffassungs- und Darstellungsweise zeigt, gehört ebenso gut der Geschichte
an, bedarf ebenso gut der Ergründung, soweit sich für eine solche die Hand-
haben bieten. Werden, wie üblich, nur einzelne Hauptwerke herausgehoben
und ohne Rücksicht auf die Stellung, welche sie innerhalb des Entwickelungs-
ganges des Künstlers einnehmen, ihrem Gehalt nach geprüft, so erwächst daraus
nur geringer Gewinn für die Kenntniss des Künstlers und seiner Individualität,
die schliesslich doch noch von grösserem Belang ist, als die einzelnen aus ihr
geflossenen Werke. Wohl ist eine solch unpersönliche Betrachtungsweise bei
Behandlung der älteren Kunstepochen mit ihren vorwiegend typischen Verfahrens-
weisen durchaus am Platz; mit dem XIV. und mehr noch mit dem XV. Jahrhundert
*) Die nachfolgende Arbeit war im Wesentlichen bereits vor mehreren Jahren
niedergeschrieben. Da Dr. Scheibler in seinem Aufsatz über Schongauer (im letzten
Heft des Repertoriums) die Kupferstiche des Meisters nicht mit der gleichen Aus-
führlichkeit behandelt hat, wie die Gemälde, so hielt ich es für angemessen, jetzt
seiner Anregung Folge zu geben und meine Arbeit als Ergänzung der seinigen zu
veröffentlichen.