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Repertorium für Kunstwissenschaft — 7.1884

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https://doi.org/10.11588/diglit.62526#0569

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Litteraturbericht.

477

Schon aus dem 8. Jahrhundert liegen Nachrichten über eine rege Bau-
tätigkeit vor, aber monumentale Unternehmungen scheinen doch erst seit
Beginn des folgenden Jahrhunderts ins Werk gesetzt worden zu sein. 888
wird von dem Bau der Georgskirche zu Oberzell gemeldet, und diese ist es,
welcher forthin eine hervorragende Stellung unter den Denkmälern aus dem
hohen Mittelalter gewahrt bleiben wird. Ihre Anlage weist mancherlei Eigen-
tümliches auf. Dem ursprünglich einschiffigen Langhause folgt ein ebenfalls
flach gedeckter Querbau, dessen Flügel ehedem halbrund schlossen, während
der Chor, unter dem sich eine primitive Krypta befindet, die landesübliche
Anlage auf quadratischem Grundrisse zeigt.
Zu Ende des 10. Jahrhunderts (985—97) war Witigowo Abt von Rei-
chenau geworden. Ein gleichzeitiger Berichterstatter hat ein Gedicht über
dessen Unternehmungen hinterlassen. Neun Bauten werden aufgezählt, die
alle der Initiative dieses Prälaten ihre Entstehung oder Erneuerung verdankten
und dermassen imponirten, dass eine Zeit lang sogar die Vorwürfe verstummten,
welche sonst dem Abte für sein weltliches Auftreten gemacht werden wollten.
Dass Witigowo auch die Georgskirche erneuert habe, wird zwar nirgends be-
merkt, ist aber sehr wahrscheinlich, da die sparsamen Details des Schiffes
den ausgesprochenen Stilcharakter dieses Zeitalters tragen. Damals nämlich
scheint die Erweiterung des Langhauses in eine dreischiffige Anlage statt-
gefunden zu haben. Den westlichen Abschluss desselben bildet eine halbrunde
Apsis. Ueber die Zeit ihrer Erbauung mag man rechten. Jedenfalls ist bei
dem Versuche, den ursprünglichen Westabschlusse des Langhauses als einen
horizontalen zu reconstruiren , die Hindeutung auf eine vorgebliche Analogie
mit der Stiftskirche von Schännis im Ganton St. Gallen zurückzuweisen.
Schon längst war St. Georg eines Wandgemäldes wegen bekannt gewesen.
An der äusseren Rundung der Westapsis war dasselbe im Jahr 1846 zum Vor-
schein gekommen, und auch im Innern der Kirche, heisst es, hätten »Spuren von
Malereien aus allen Wänden hervorgeschaut.« Jenes erstere Bild, eine figuren-
reiche Darstellung des jüngsten Gerichtes, ist durch Adler veröffentlicht worden,
der geneigt war, dasselbe frühestens aus der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts
zu datiren, während sich Kraus für eine ältere Entstehungszeit aus der Grenz-
scheide des 10. und 11. Jahrhunderts entscheidet, dabei aber zugibt, dass
wesentliche Unterschiede zwischen diesem Bilde und den nunmehr wieder auf-
gedeckten Malereien in der Kirche bestehen.
Diesen Letzteren ist nun der Hauptinhalt der Abhandlung gewidmet und
wir freuen uns, dass Verf. dieselbe mit dem Lobe eines wackeren Priesters,
des Herrn Pfarrverwesers Feederle eröffnet, dessen Einsicht und treuer Ausdauer
vornehmlich die Hebung und Rettung dieser einzigartigen Schätze zu ver-
danken ist.
Nachrichten von Wandgemälden aus dem ersten Jahrtausend sind viele
bekannt, aber leider steht dazu die Summe der noch erhaltenen Werke in keinem
Verhältnisse, und diesseits der Alpen vollends hätte man bisher vergeblich nach
einem Gyklus aus dieser Frühzeit geforscht. Die Entdeckung auf der Reichenau
ist mithin für die deutsche Kunstgeschichte von geradezu epochemachender
 
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