Natur-Organismus ins Gesicht schlagen und ihre wenigen
Motive ins Unendliche wiederholen, ohne sie sonderlich
zu variieren — uns doch immer entzücken, uns nie lang-
weilen, und die bei allem Getändel, das sie kokett zur
Schau tragen, in Strenge und Solidität der Aus-
führung hinter den Leistungen keines Stils, nicht einmal
der Gotik zurückstehen; wahrlich, ich weiß nichts Er-
staunlicheres. Jch weiß auch keine andere Erklärung
dafür als die, daß in dem neuen Stil, den wir im
weitesten Sinn Renaissance nennen, den der italienische
Genius der Gotik entgegengesetzt und womit er über
die Alpen hinweg bis auf den heutigen Tag ganz
Europa beherrscht hat, daß in diesem so fremden Stil,
sobald er im Kern seiner Seele schwach geworden
war, der nordische Geist, der Geist der Gotik plötzlich
erwacht und zu neuem reichem Lebeu auferstanden ist,
was eben auch nur diesseits der Alpen, nie aber im
Süden möglich war. Andere Formen sind es freilich.
Aber derselbe Geist ist es. Und das XVIII. Jahr-
hundert, wenn es nicht von allem Geist der Historie
und der Vergleichung verlassen gewesen wäre, hätte
sein Rokoko erkennen müssen als seine Gotik, als
eine moderne, als eine hösische Gotik, als eine Gotik
nicht mehr des schwärmerischen Gemüts, sondern des
freigewordenen und ausgelassenen Geistes, als eine
Gotik der Libertinage im guten, im nicht moralischen
Sinn des Wortes.
Man hat diesem Stil gegenüber von mangelndem
Ernst, von oberflächlicher Spielerei, von Frivolität
gesprochen, mit andern Wvrten, man hat seine rein
ästhetischen Werte mit moralischen Maßstäben ge-
messen, welche Lächerlichkeit!
Man dars auch gar nicht sagen, daß es sich allein
um einen Dekorationsstil handelt. Eine neue Archi-
tektur hat er allerdings nicht geschaffen. Aber das
hat im Grunde das Barock auch nicht getan. Jn allen
andern Künsten aber hat das Rokoko in hohem
Grade schöpferisch gewirkt: am wenigsten günstig viel-
leicht im Tanz, aber entzückend, ja weltüberwindend
in der Musik, mit Rossini, Hapdn, Mozart; in weit
schwächerem Maße in der Skulptur, aber triumphierend
wieder in der Malerei, in der französischen Malerei,
die ihm ihre höchste nationale Blüte verdankt und in
der, wie in der Mozartschen Musik, die leichte und
lichte Grazie dieses Stils in ewiger Unsterblichkeit
hinleuchtet über die ebenso unsterbliche aber weniger
liebenswürdige Menschheit.
* *
Um deu Hauptgedanken zu wiederholen: Aus
höchster Verrohung des Details erwuchs, unter dem
Einfluß einer bis znm Raffinement verfeinerten Ge-
sellschaft, ein neues Dekorationssystem von höchster
Zierlichkeit und Grazie, das bald die Stilgesetze aller
Kunst bis in die Wurzel hinein beeinflußte.
Jm Garten der Residenz zu Würzburg ist diese
Wandlung bereits vollzogen. An Stelle des Barock
ist das Rokoko Hetreten. Die großen Linienperspektiven
(die Unendlichkertsvorspiegelungen) fehlen, das Wieder-
klingen der Hauptbaulinien in den konstruktiven Linien
des Gartens ist nicht mehr oberstes Prinzip. Dafür
ist das so lang vernachlässigte Detail wieder in seine
Ehren eingesetzt und hat wieder — wie in der Früh-
renaissance und der Gotik, nur in anderer Sprache —
für sich etwas zu sagen.
Jn den reinen Barockanlagen sind die Marmor-
bilder so gestellt, daß sie, von den Hauptpunkten aus
und von weither gesehen, wirksame Akzente in der
Architektur des Gartens bilden. Das ist ihre Auf-
gabe. Wenn sie das erfüllen, ist ihr Daseinszweck
erreicht. Für sich gesehen, wvllen sie nicht viel be-
deuten; ihr Bildwert ist gering, wenn nicht ganz null,
und oft genug wirken sie komisch. Es ist dann, als
ob sie sich schämten. Sie wollen nicht für sich gesehen
sein. Sie wollen nicht zu nah gesehen sein. Aber
aus Marmor müssen sie sein, oder wenigstens als
Marmor angestrichen, um als architektonische Akzente
weithin zu wirken.
So verhält es sich, innerhalb des Barockstils, auch
bei der Architektur an sich. Wenn Bernini auf seinen
Kolonnaden am Petersplatz Hunderte von Heiligen
aufstellt, und wenn andere auf dem Kranzgesimse ihrer
Fassaden dasselbe tun, so kümmert sich kein Mensch
mehr um diese Statuen an sich, sie sind keine Bilder
mehr, sondern nur noch Architekturteile; ihre bloßen
Massenverhältnisse und Silhouettengliederungen sind
wichtiger als die Durcharbeitung der Form, die darum
Motive ins Unendliche wiederholen, ohne sie sonderlich
zu variieren — uns doch immer entzücken, uns nie lang-
weilen, und die bei allem Getändel, das sie kokett zur
Schau tragen, in Strenge und Solidität der Aus-
führung hinter den Leistungen keines Stils, nicht einmal
der Gotik zurückstehen; wahrlich, ich weiß nichts Er-
staunlicheres. Jch weiß auch keine andere Erklärung
dafür als die, daß in dem neuen Stil, den wir im
weitesten Sinn Renaissance nennen, den der italienische
Genius der Gotik entgegengesetzt und womit er über
die Alpen hinweg bis auf den heutigen Tag ganz
Europa beherrscht hat, daß in diesem so fremden Stil,
sobald er im Kern seiner Seele schwach geworden
war, der nordische Geist, der Geist der Gotik plötzlich
erwacht und zu neuem reichem Lebeu auferstanden ist,
was eben auch nur diesseits der Alpen, nie aber im
Süden möglich war. Andere Formen sind es freilich.
Aber derselbe Geist ist es. Und das XVIII. Jahr-
hundert, wenn es nicht von allem Geist der Historie
und der Vergleichung verlassen gewesen wäre, hätte
sein Rokoko erkennen müssen als seine Gotik, als
eine moderne, als eine hösische Gotik, als eine Gotik
nicht mehr des schwärmerischen Gemüts, sondern des
freigewordenen und ausgelassenen Geistes, als eine
Gotik der Libertinage im guten, im nicht moralischen
Sinn des Wortes.
Man hat diesem Stil gegenüber von mangelndem
Ernst, von oberflächlicher Spielerei, von Frivolität
gesprochen, mit andern Wvrten, man hat seine rein
ästhetischen Werte mit moralischen Maßstäben ge-
messen, welche Lächerlichkeit!
Man dars auch gar nicht sagen, daß es sich allein
um einen Dekorationsstil handelt. Eine neue Archi-
tektur hat er allerdings nicht geschaffen. Aber das
hat im Grunde das Barock auch nicht getan. Jn allen
andern Künsten aber hat das Rokoko in hohem
Grade schöpferisch gewirkt: am wenigsten günstig viel-
leicht im Tanz, aber entzückend, ja weltüberwindend
in der Musik, mit Rossini, Hapdn, Mozart; in weit
schwächerem Maße in der Skulptur, aber triumphierend
wieder in der Malerei, in der französischen Malerei,
die ihm ihre höchste nationale Blüte verdankt und in
der, wie in der Mozartschen Musik, die leichte und
lichte Grazie dieses Stils in ewiger Unsterblichkeit
hinleuchtet über die ebenso unsterbliche aber weniger
liebenswürdige Menschheit.
* *
Um deu Hauptgedanken zu wiederholen: Aus
höchster Verrohung des Details erwuchs, unter dem
Einfluß einer bis znm Raffinement verfeinerten Ge-
sellschaft, ein neues Dekorationssystem von höchster
Zierlichkeit und Grazie, das bald die Stilgesetze aller
Kunst bis in die Wurzel hinein beeinflußte.
Jm Garten der Residenz zu Würzburg ist diese
Wandlung bereits vollzogen. An Stelle des Barock
ist das Rokoko Hetreten. Die großen Linienperspektiven
(die Unendlichkertsvorspiegelungen) fehlen, das Wieder-
klingen der Hauptbaulinien in den konstruktiven Linien
des Gartens ist nicht mehr oberstes Prinzip. Dafür
ist das so lang vernachlässigte Detail wieder in seine
Ehren eingesetzt und hat wieder — wie in der Früh-
renaissance und der Gotik, nur in anderer Sprache —
für sich etwas zu sagen.
Jn den reinen Barockanlagen sind die Marmor-
bilder so gestellt, daß sie, von den Hauptpunkten aus
und von weither gesehen, wirksame Akzente in der
Architektur des Gartens bilden. Das ist ihre Auf-
gabe. Wenn sie das erfüllen, ist ihr Daseinszweck
erreicht. Für sich gesehen, wvllen sie nicht viel be-
deuten; ihr Bildwert ist gering, wenn nicht ganz null,
und oft genug wirken sie komisch. Es ist dann, als
ob sie sich schämten. Sie wollen nicht für sich gesehen
sein. Sie wollen nicht zu nah gesehen sein. Aber
aus Marmor müssen sie sein, oder wenigstens als
Marmor angestrichen, um als architektonische Akzente
weithin zu wirken.
So verhält es sich, innerhalb des Barockstils, auch
bei der Architektur an sich. Wenn Bernini auf seinen
Kolonnaden am Petersplatz Hunderte von Heiligen
aufstellt, und wenn andere auf dem Kranzgesimse ihrer
Fassaden dasselbe tun, so kümmert sich kein Mensch
mehr um diese Statuen an sich, sie sind keine Bilder
mehr, sondern nur noch Architekturteile; ihre bloßen
Massenverhältnisse und Silhouettengliederungen sind
wichtiger als die Durcharbeitung der Form, die darum