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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 7.1903-1904

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Heft 2
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Aus der Bergstraße
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Koegel, Fritz [Bearb.]: Theoder Streichers Wunderhornlieder
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https://doi.org/10.11588/diglit.19303#0129

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Aus der Bergstrasze.

Lin tzerbstbild.

Kutmütiger Leser! 2ck) sende dir einen 8>ruß aus einem
stillen Lrdenwinkel, wo die Lufr rein und klar ist, die Wälder
von feierlicher Schönheit, die Nenschen einfach und schlicht
sind! Hierher bin ich aus der Ztadt geslohen. Hier wohne
ich in einem Kasthof, der mitten in die Landschaft hinein-
gesetzt ist, und mein Zimmer mündet mit dem weiten Balkon
geradeaus in den großen Platanengarten, durck) den die
sonne goldene Lichter wirft. Indessen bin ich selten zu Hause.
Nit meinem treuen Rameraden, dem Bernhardiner des
Mirtes, durchstreife ich die Kegend, und lasse mir die Zinne
berieseln von all der Märme, die das tzerbstland ausatmet,
von all dem köstlichen Duft, der ihren reichen ßrüchten ent-
strömt. 2ch fühle mich dann geborgen wie ein Rind im Atem
seiner Nutter. Ztundenlang! Kedanken kommen und gehen,
aber die Cräume verwehren ihnen den Zutritt zu meiner
Zeele, und die Träume selbst empsinde ich nur schattenhaft,
denn in mir ist Buhe und Kriede.

Dann kenne ich aber auch einen Weg, den ich besonders
gern gehe, rechts von meiner Wohnung die schmale Land-
straße entlang, die sich wie ein braunes Band durch die
dunkle Landschaft zieht. Au beiden Zeiten sind slache grüne
Wiesen mit zartlila tzerbstzeitlosen. Da kann das Auge
weithin schwelgen, überall horizontale Linien, die nur in der
^erne durch stolze Pappeln unterbrochen sind. Line Bank
ruft an der Biegung des Weges unter eincm schattigen Auß-
baum: „tzier schweigt das Wehe banger Lrdgefühle." 2ch
gehe weiter; es folgen nacheinander lange schmale Ztreisen
von Lartoffel- und" Wirsingfeldern, auf denen Bauern und
Bäuerinnen tätig sind. 2ch freue mich an ihrem iSruße und
an dem Anblick der schwerbeladenen klapprigen Kuhrwerke,
die, mit Aühen bespannt, sich schwerfällig durch die Landschaft
schleppen. 2m Hintergrund thronen die Berge. 2hre sanft
anschwellenden und abfallenden Linien geben eine schöne
Zilhouette gegen den klaren hellen tzorizont.

Dann erweitert sich das enge Tal; auf einer großen
Basenfläche stehen Apfel- und Birnbäume, die ihre Zweige
glückstrahlend ins Weite strecken. 2n manchen hängt die
Last der goldenen und roten Hrüchte. Aeben einem kleinen
tzäuschen im zierlichen vorgarten steht eine Crauerweide voll
stiller Nelancholie. 2hre hängenden Blattgewinde haben
etwas von Tränen, die sich überstürzcn. An einem Brunnen
sitzt ein Aind und spielt mit der Latze. Lie kennt mich schon
die Rleine in ihrem Hlickenkleidchen; sie geht immer ein
Ztück Wegs mit mir, aber am nächsten Megweiser läuft ste
scheu zurück. Kroße Kelände von gelblich gewordenen Wein-
bergen führen in die Höhe. Seranien mit ihrem schreienden
Aot und Begonien blühen vor den schmalen Henstern der
Bauernhäuschen; Paradiesäpfel und Sonnenblumen stehen
mit ihrem eitlen Haupt im Earten, und Bohnenblüten leuchten
über den Aaun.

Die ganze Landschaft trieft gleichsam von Zonne. Die
blauschwarzen und purpurnen wälder im Hintergrund, die
Wiesen seitlich, die roten Reben, die von Nauern und Hecken
herabfließen, die winkligen verlorenen tzäuser, — alles glänzt
von Zonne. — „Trinket Augen, was die Wimper hält, vom
wunderbaren Ueberfluß der Welt" raunt es mir durch die
Zrnne, und dabei fällt mein Blick auf die zierlichen Lauben-
gange, die von Weinblättern umrankt stnd, unter denen
dunkelviolette, üppige Trauben hervorleuchten. §ülle des
Herbstes, wie bacchantisch ist dein Reichtum.

- Stilleben in der Aatur sah ich auch einmal

^ oieser Segend: einen kleinen braunen Acker, auf dem ein
großer brauner Lorb mit grauen Nüssen stand; daneben auf
dem Boden lag eine blaue Bauernschürze. Dieser Anblick
hatte etwas so Friedliches, daß mein Ange sich nur schwer
davon trennen konnte. Wie ein guter aller Kreis kam mir
dieser verbrauchte Lorb vor, wie ein Nensch, der sein Lebens-
werk bereits getan hat. Wenn dann die Sonne untergeht
und die feinen Linien der Bergrücken mit dem Horizonte
verschmelzen, versinkt alles in ksürmoiiie. Auerst sieht die
Zonne wie eine feurige Lugel aus, schwimmend auf blauem
Neere, dann taucht sie immer mehr unter in dieses Neer,
um schließlich ihr weitgeöffuetes rotgoldenes Haar strahlen

zu lassen. vom Abendhimmel sinkt der Hriede auf die Lrde,
nach Hause ziehen die Bauern und Bäuerinnen vom Keld.
Zie gehen neben den Wagen her, auf denen die Lartoffeln
in Säcken mifgeladen liegen, oder sie sitzen auf einer Bank in
einem leeren Wagen, singen dann ein Lied, dessen sentimentale
Llänge das stille (i,al erfüllen, und auch die Klocken läuten
fern hinein. Die Dämmerung kommt und gießt grauschwarze
Zchleier über die Welt, so daß die Karben in nebelhaften
Tönen zusammenfließen. Keheimnisvoll sind Wälder und
Wiesen und Wege jetzt verflochten. 2mmer dunkler und
dunkler wird es, bis die Landschaft für den menschlichen
Blick ins Gespensterhafte wächst, und Menschen und vieh
nicht mehr aus ihren Hütten gehen. So ist der tzerbst ge-
kommen, und manchmal an Tagen, an denen die Zonne mit
ihrem Leuchten versagt, wenn das Regenwetter gerade auf-
gehört hat und die Luft feucht und kühl ist, dann fühlt man
die Trauer des Herbstes und ahnt das Zchlafenwollen der
Aatur. Still liegt der kleine Weiher da in dem großen
parke. Die weißen Schwäne geben keinen Laut und bewegen
sich ganz langsam von der Ztelle. Das Waffer hat einen
dunklen, trüben 8lanz. Lein Nensch, kein Wagen, kein Tier,
das den gelben Zandweg belebt; die Lronen der Linden sind
nach der Zeite gelehnt, als ob sie sich nicht länger da oben
in der tzöhe halten könnten. Die endlose Allee hat etwas
Dürftiges bekommen. Aur der Wind jagt herrisch durch die
Lüfte und zerrt die Blätter von den Bäumen, so daß sie
hilfesuchend zur Lrde fallen. Da liegen sie denn welk und
abgestorben auf dem Boden, und rascheln auf und bleiben
in hingewehten Wellen liegen. Und plötzlich überfällt den
Nenschen eine Nelancholie: ahnt er den wehen Humor der
Aatur und ihren Ztolz und ihr Nitleid? Lr möchte seinen
Lopf hinlegen aus die Hände und so in einer wehmütigen tzar-
monie von blassen Karben und schluchzenden Llängen hin-
sinken in die stumme Lwigkeit. Zascha Zchwabacher.

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Iicb8te I^orrn8pie1ereien se88elt, nber 8selenlo8
i8t nncl srrn nn Leben8werten. L8 beclLrt 3tLrlrer
Lrätte, clie 8icb clie^ern nn^cbeinencl nnwicler-
8tsklicben 8trorn entAe§en8terninen. 8treicber i8t
3o1cbe Lrnkt.

Lin fnnZer Lornponi3t, üer clreitlix Vo1Ir8liecler
3N8 clern „VVnnclerborn" in 1Vln8ib 3et2t, betsti^t
clsrnit sine Öber^eu^unA nncl einen Qlnnben.
Oie Öber^eu^nn^, clLtl ein IVln^iber nicbt 8tetnn
Oeor^e3 bün8t1icbe ?nrLclie8e ocler 8ierbonin3
länüelreirne in lüne brin^en rnutl, wenn er
„rnoclern" 8ein will; clen Qlsuben, clntl cln8
rnoclerne <lent8cbe Liecl nn8 ilsn^elben tieken
tznellen ent8prin§t, nn3 clenen vor ^nbrbnnüerten

* 1*Iis c> äc>I 8trsiclisr: NrsisslA I.iscisr LUS „Oes
Xii-idsii Wuvcisrliorn'd VsriuA von t.LutsrbLcIi L Kuliii,
l,six2i§. (6 Mlc.)

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