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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 7.1903-1904

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Heft 1
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Bosshart, Jakob: Wenn's lenzt, [1]: eine Erzählung aus den Schweizer Bergen
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https://doi.org/10.11588/diglit.19303#0037

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wenn's lenzt.

Line Lrzählung aus den Zchweizer Bergen von Iakob Boßhart.

(Unserer Absicht, aus guten aber unbekanuten Büchern abgeschlossene Proben zu bringen, um von den
Lensations- und Anterhaltungsschriftstellern zu den Dichtern hinzuführen, bot sich zunächst kein besseres
Leispiel, als die schöne Lrzählung des Zchweizers Iakob Boßhart „Wenn's lenzt", die abzudrucken wir
in dieser Nummer beginnen. Zie ist aus seinem ersten Buch „Im Nebel, Lrzählungen aus den Zchweizer
Bergen" genommen, das im Iahre (898 bei H. Haessel, Leipzig, erschien, aber in Deutschland bislang
kaum Beachtung gesunden hat. In eine ziemlich überslüssige, aber durch mancherlei seine Bemerkungen
lesenswerte Rahmengeschichte sind süns abgeschlossene Lrzählungen eingestreut, von denen „Wenn's lenzt"
die schönste ist, wie sie überhaupt, von der etwas aufdringlichen Littenschilderung abgesehen, zu jenen
Dichtungen gehört, die man um ihrer dichterischen Haltung willen auch ohne den Lpannungsreiz der Hand-
lung gern wiederliest. Zolche Lrzählungen sind seltener, als die allzuvielen Namen der „Lieblingsautoren"
vermuten lassen, und erst aus ihnen siebt die Zeit die wenigen aus, die sich dem Zchatz der National-

dichtung beiordnen.)

„Na, Nonrad!" klang es durch die halbgeössnete
Nüchentür in die Zcheune hinaus.

„A)as soll ich, Nutter?"

„A)ie lange willst du noch aus dem Heuboden
herumstöbern? Du solltest schon lang an der „Tant"*
sein. Im „tlnterhaus" stehen die Leute schon so
dicht wie Nresse!"

„Ich mag nicht hinuntergehen."

„Zo, so, du magst nicht! Lo ist heutzutage das
junge Volk: es mag nicht! Ihr meint wohl, das
Klück müsse selber die Ztiesel anziehen und euch
nachlaufen, ihr . . ."

„Du sprichst, als ob man an der Tant für jeden
Hünser einen Iranken kriege!"

„Ist's kein großer „Lchick",** so ist's vielleicht
ein kleiner, und dazu soll man die Lchuhsohlen
nicht sparen!"

„Was soll ich ,kramen'? Ich wüßte wahr-
hastig nichts!"

„Teh erst, du wirst dann schon sehen, was wir
etwa brauchen können. Heugabeln, Rechen, Närste,
tzauen, Zensenbäume, Wetzsteine, das wird gewöhn-
lich halb geschenkt losgeschlagen. Und dann die
neue Weintanse, die ihnen der Uüfer letzten Herbst
gemacht hat . . . Hä? sind das nicht Lachen, die
man immer brauchen kann? Ltehn sie auch ein
Iahr oder zwei müßig herum, was schadet's?
Linmal ist man doch sroh drüber! Teh jetzt! aber
kause nichts zu teuer und laß dich nicht hetzen!"

Die Uüchentür schloß sich wieder; Uonrad stieg
aus einer kurzen Leiter vom Heuboden in die
Tenne hinunter, griff nach einer Tabel und machte
aus dem Heuhaufen, den er hinuntergeworsen hatte,
längs der Wand einen dustenden A)all. Dann
hängte er die Sabel an einen hölzernen Nagel,
nahm einen Besen aus Birkenreisern aus einem
Winkel hervor und kehrte die Tenne, bis sie sauber
aussah wie eine Ltube. Nachdem das Werk getan
war, stand er ein weilchen ratlos bei seinem Heu-
wall und kratzte sich hinter den Shren; hierauf
trat er durch das Lürchen, das von der Tenne in
den Ltall sührte, um nachzusehen, ob das Vieh

* Auklion. Luter tzandel.

seine Vrdnung habe. Vorn lagen die Vchsen, in
der Mtte die Uühe und zuhinterst in dem niederen,
von zwei kleinen Henstern dürstig erhellten Raum
die Uälber. Alle käuten wieder mit regelmäßigem,
dumpfem Teräusch, von Zeit zu Zeit einen Augen-
blick innehaltend, um den seingeriebenen Bissen
hinunterzuschlucken und mit gurgelndem Ton einen
neuen aus dem satten Wagen herauszuschasfen, und
das eine oder andere Ltück dehnte sich zuweilen in
der Lehaglichkeit der Verdauung und pustete dabei
wie eine Baßtrompete. Uonrad ging den Ztall
entlang und brummte vor sich hin: „Alle strecken
die Beine nach der gleichen Leite, das schöne Wetter
wird nicht lange währen!"

Hinten im Ltall war ein Ualb noch nicht zur
Ruhe gekommen, weil sein selbstsüchtiger Nachbar
sich der Urippe entlang ausgestreckt hatte und so
den Platz verlegte, der für zwei ausreichen sollte.
Der in seinen Rechten Verkürzte stand traurig da,
muhte mit klagender Ztimme, als Uonrad ihm näher
trat, und streckte ihm den Uopf entgegen. Der
junge Bauer verstand des armen Viehes Zprache,
trat zu ihm hin und kratzte ihm begütigend das
Hell nnter der Lchnauze, was dem andern unsäg-
lich wohlzutun schien. Ls hätte gern die sreund-
liche Hand beleckt, aber Uonrad, ohne auf die
Liebkosungen zu warten, setzte sich aus eine Ztroh-
welle, die da lag, und schien mit seinem Lntschluß
nicht ins reine zu kommen. Lndlich sagte er halb-
laut: „Ich mag den Iammer da unten nicht mit
ansehen."

Zn diesem Augenblicke hörte er die Uüchentür
knarren, und gleich daraus erklang die Ltimme seiner
Nutter wieder: „Uonrad!"

Lr gab keine Antwort. — „Uonrad! Uonrad!
Wo steckst du denn schon wieder!"

„Was gibt's?" ries er unwillig.

„So tu doch endlich, was ich dir sagte! Du
glaubst wohl gar, man warte mit dem Tanten, bis
es dir gefällt zu kommen. Was wird der Ätti
sagen, wenn er heimkommt und du hast nicht ein-
mal die neue Weintanse erstanden! Du hast immer
etwas Ligenes und willst nicht sein wie andere
Leute."

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