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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 7.1903-1904

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Heft 2
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Wygodzinski, Wilhelm: Wilhelm Steinhaufen
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https://doi.org/10.11588/diglit.19303#0087

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W. Lteinhausen:
Zweifarbige
Zeichnung.

A). Zteinhausen:
Zeichuung.

tiefsten Rünstler, in denen sich das gewaltigste und
geheimste Aehnen unserer Aeit ahnungsvoll aus-
spricht. Darum haben dennoch diejenigen unrecht,
welche meinen, die tvunst habe aus unserer Welt
nichts zu suchen; es muß nur die rechte Runst sein,
die gleich dem Cräumer Parzival den 8>ral sucht,
um den todkranken Ansortas und sich selbst zu er-
lösen. Vielleicht ist die Zeit schon nahe, die den
Troßen bringt, der das erlösende Wort spricht;
Zuchende und Ringende vom besten Adel, vom Adel
des Täusers und vom Adel Don Äuichottes, haben
wir genug, wenn wir sie nur sehen wollen.

Darum ist es aber auch ein ungemeiner Irrtum,
etwa Böcklin den Rünstler unserer Aeit zu nennen.

Was Böcklin uns so nahe bringt, näher
als die Renaissancekünstler, das ist zweier-
lei: Linmal der stolz plebejisch-anarchisti-
sche Zug seines Wesens, der, alle über-
lieserten ßormen verachtend, nur das schus,
was ihm behagte. Weiter geht durch seine
sür uns viel zu ungebrochene lebensfrohe
Runst ein leiser Anterton der Zehnsucht
und des Leidens, wie er dem Zeitalter
Tizians undenkbar war. Hätte er den
nicht, so wäre er auch nicht der große
Rünstler, der er ist, sondern höchstens ein
liebenswürdiger Lpigone. Aber dieser
Zehnsuchtszug ist ihm unbewußt, er würde
ihn lieber ausmerzen und ganz ein Trieche
sein, und das ist es, was ihn von uns
trennt, und weshalb ihn spätere Iahr-
hunderte viel eher sür den letzten Re-
naissancekünstler, als sür den ersten großen
Nodernen erklären werden. Wir müssen es
uns deutlich klarmachen, daß die Resorma-
tion einerseits und die Revolution ander-
seits uns von dem heiter-egoistischen, grie-
chisch-italienischen Eeistesür immer trennen.
Was verloren wir nun und was hoffen wir
zu gewinnen? Verloren haben wir die unbedingte
animalische Iebensfreude, verloren das Bewußtsein,
daß unser kleines Ich der Mttelpunkt sei, um den
das Weltall kreise. Aber dafür haben wir etwas
Unschätzbares gewonnen: das Tefühl der inneren
Zusammengehärigkeit. Auch noch die Nenschen
der Renaissance standen, falls sie nicht besondere
ßreundschasts- oder Verwandtschaftsbande ver-
knüpften, einander gegenüber wie wilde Tiere,
jeden Augenblick bereit, den andern zu zerreißen.
Anser höchster Wunsch ist, einer dem andern nahe
zu kommen, die ßremdheit zu überwinden, die wie
ein ßluch seit der Lchöpsung auf aller
Areatur lastet.

Das Bild Lteinhausens „Dieser nimmt
die Zünder an und isset mit ihnen" (Z. 65)
konnte nie gemalt werden als heute. A)ir
haben angesangen, das pharisäerhafte der
bisherigen Weltanschauung einzusehen;
unsere Rechts- und Irrenpflege sind beredte
Beispiele dafür, und wir wissen, daß wir
nicht besser sind als der Zällner, es sei
denn, die Tnade helse uns von oben. Das
ist das tiefste Teheimnis der herzbezwin-
genden Runst Lteinhausens, daß er ein
neuer Nensch ist, einer von denen, die
dem armen Aussätzigen nicht mit der
Ltange ein Ltück Lrot reichen und sich
dann die Hände waschen, sondern ihm die
Hand reichen und Bruder zu ihm sagen.

Tarl Neumann hat außerordentlich
schön ausgesührt, wie seit der Revolution
die Runst den Zusammenhang mit denen
verloren hat, für die sie schafft. Die
Runst ist nicht mehr, was sie sein sollte,
Prophetentum, sie sagt nicht mehr dem

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