Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 7.1903-1904

DOI Heft:
Heft 2
DOI Artikel:
Bossart, Jacob: Wenn's lenzt
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.19303#0100

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Hinter ihnen aber begann ein süßes ßlöten. Line
Amsel, der das junge Volk den ganzen Nachmittag
verdorben hatte und die ihr Lied nicht mehr in
der sangeslustigen Aehle zurückzuhalten vermochte,
hatte sich aus den höchsten Zweig einer ßöhre ge-
setzt und sang nun in das warme Abendrot hinein,
und mit ihr der ganze Zchloßrain, so daß sich auch
in der Brust der Lllädchen etwas regte wie ein
Lied, und es wäre mächtig jauchzend herausgequollen,
wären nicht die ernsten grünen Aörbe gewesen.

vor dem Lchulhaus harrten jüngere Nädchen,
die noch zur Lchule gehen mußten. Die brachten
ihren älteren Lchwestern das Abendbrot und be-
trachteten mit feierlichen Menen die grünen Aärbe
und ihre Zchwestern und hatten heute vor diesen
mehr Respekt als sonst und dachten: „Wenn auch
ich einmal groß sein werde und schäppeln darf!"

Die Zchäpplerinnen traten in das Achulzimmer,
setzten sich in die langen Ränke, in denen sie sich so
oft nach ihren Höfen und deren Ungebundenheit ge-
sehnt hatten und auf denen sie nun die unverwisch-
baren Lpuren der Nesserklingen ihrer Leidensgefähr-
ten fanden: „Da hat der Paul seinen Namen ein-
geschnitten!" „Dieses Loch hat Iörlis Bert gebohrt."
„Da muß der Uaspar gesessen haben, sieh nur her!"

Nachdem die Nädchen ein Weilchen nach Lr-
innerungszeichen und nach srüher kaum beachteten,
jetzt lieb gewordenen Initialen gesucht hatten,
machten sie sich über die Aörbe her, die man ihnen
gebracht hatte. Ihr Inhalt verriet, daß auf den
Höfen der Hunger keine mächtige Herrschaft befitzt:
vor dem Roggenbrot und der Butter, dem Nager-
käs, dem rotdurchzogenen Zpeck und den Rauch-
würften und all den Dingen, die da hervorgezogen
wurden, hätte er das Keld räumen müssen und
wäre er auch mit einer ganzen Uompanie ein-
gerückt, und an klarem, perlendem Nofte fehlte es
wahrlich auch nicht. Die Zähne bekamen nun
wacker Arbeit, und die Zunge wurde gezügelt: man
wollte den guten Lindruck, den man sichtlicherweise
auf die Lchulmädchen gemacht hatte, nicht mut-
willig wieder verwischen und das konnte man nur,
indem man mit den Brot- und Aäsebissen auch die
Wörter hinunterschluckte: denn was können fünfzehn
lebenssrohe Wädchen von achtzehn bis fünsund-
zwanzig Iahren — und wären sie auch Lchäppelens
halber beieinander — anderes plaudern, als was
zum Lachen kitzelt und die weißen schelmischen
Zähne aus ihrem Verstecke lockt.

Als das Lssen nicht mehr schmeckte, wurden
die Aörbchen wieder gepackt und die kleinen Nädchen
mit einem freundlichen Alaps auf die Wangen
nach Hause geschickt. Die Nacht brach herein, die
große Hängelampe wurde angezündet, und das
Slechten der Aränze konnte beginnen. Die einen
sortierten das Immergrün und das Noos und
vereinigten Zusammenpassendes zu kleinen Büscheln,
die von andern, die Lrfahrung und geschickte
Hände hatten, an Schnüre gereiht wurden. Linmal
schlich sich eine der Lchäpplerinnen ans Senster
und horchte in die Nacht hinaus.

„Lteht der Nax draußen?" rief ihr eine andere
neckisch zu und der ganze Lchwarm fing an zu
kichern.

„Ihr seid wohl närr'sch! ich wollte nur sehen,
ob der Nond schon komme!"

„Zreilich, der W - ond!" meinte eine in trockenem
Cone.

„Schscht!" unterbrachen die Alteren das los-
brechende Telächter.

Als die ßlechterinnen recht im Zuge ivaren und
die Arbeit weidlich vonstatten ging, hörte man
Tritte draußen: „Sie kommen!" ivroße Bewegung
im Schulzimmer, die Blätter und Noossetzchen
wurden von den Zcyürzen geschüttelt, die Hände
fuhren über die glattgekämmten Haare, man setzte
fich in Positur, als hätte man photographiert
werden sollen; dann wurde alles still und mit
doppeltem Lifer zappelten die Hinger der braunen,
an Arbeit gewöhnten Hände. Die Tür knarrte
in den Angeln und herein traten die Burschen in
ihren schweren Schuhen, unter denen der tannene
Aimmerboden ächzte, und sie machten möglichst
gleichgültige Tesichter und sogen an ihren kurzen
Pfeifen. Wan drückte sich die Hände, bald stärker,
bald schwächer, wie man's gerade meinte oder im
Sinne hatte. Als die Wädchen ihre Arbeit wieder
ausnehmen wollten, sagte einer der Burschen: „Lrst
müsfen wir den Trabgesang einüben, hol einer den
Schulmeister herunter!"

„Wir klopfen an die Diele," sagte ein anderer,
„er wird schon merken, was wir wollen."

Tesagt, getan. Vald darauf leuchteten zwei
dunkle, freundliche Augen durch das Lchulzimmer.
Lie gehörten einem alten Nännchen, dem ein ehr-
würdiger Bart bis auf die Brust wallte, während
ein schwarzes Zamtkäppchen ihm die Haupthaare
ersetzen mußte.

„Tuten Abend, Ainder!" — „Tuten Abend,
Herr Schullehrer!"

„Ihr werdet das,Ruhe sanft' singen wollen?"
Dies sagend überblickte der Alte mit seinen be-
weglichen Augen die Schar seiner einstigen Schüler,
öffnete sein Znstrument, ein kleines, baufälliges
Harmonium, und sing an zu treten und die Tasten
zu drücken, und schnarrend gab der braune Aaften
Töne.

Die jungen Leute kannten das Lied, es war
das Erablied, das sich auf den Höfen von Eene-
ration zu Generation vererbt hatte, und man sah
keinen Trund, ein neues zu lernen. Die einfache
Weife und die schlichten Worte hatten ihre Wirkung
in der Airche noch allzeit ausgeübt, und hätte
man einen Sterbenden gesragt: „Was follen wir
dir singen, wenn's vorbei ist2" er hätte ficherlich
geantwortet: „Wie könnt ihr auch fo etwas fragen!
Ich habe mein ganzes Leben lang nie recht aus-
ruhen können, drum singt mir: Ruhe sanft im
Srabe, ruhe fanft im Trab."

Die jungen Leute stellten sich vor das Harmonium,
jeder zu seiner „Ltimme", nur einer zögerte, es
war Schulpslegers Aonrad.

79
 
Annotationen