Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 7.1903-1904

DOI Heft:
Heft 2
DOI Artikel:
Rüttenauer, Benno: Schwäbische Wirtshausschilder: auch ein abgestorbener Zweig der Kunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.19303#0108

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
.Krone". Oberstenfeld.

sich — für viel zu gut dazu gehalteu. Sie hielten,
mit gesundem Standeshochmut, ihre — ihre sieben
freien Künste für etwas viel Erhabeneres als — die
Kunst. Wären sie doch bei ihrem Leisten geblieben
und bei ihrem Hochmut.

Und warum entstanden damals ohne Zeitungs-
artikel uud Geheime Regierungsbauräte so schöne Plätze,
so wundervolle Straßenbilder; warum machte man
alles schön? Ja, warum? Die Antwort ist ganz
einfach. Weil damals die Handwerksmeister Künstler
waren — wenn auch die Gebildeten sie Bauausen
nannten. Und warum waren sie Künstler? Weil sie
selber wiederum bei Künstlern in die Lehre gegangen
waren uud »icht in akademische oder Kunstgewerbe-
schulen.

Diese Städte wurden gebaut durch die Jahr-
hunderte, und als sie danu fertig waren, so wie
unsere Väter und Großväter sie noch unberührt und
unbesudelt gekannt haben, da waren sie, ganz im
ganzen genommen, vollkommene Kunstwerke, schön als
Silhouette und schön in ihrer innern Fügung, ge-
schlossen wie ein Kristall und einheitlich wie ein
Organismus, als ob sie erbaut worden wären auf
eiumal hin uud nach einem einheitlicheu, künstlerisch
klar bewußten Plan, oder als ob sie gewachsen wären,
von iunen heraus, nvtwendig. Wie ein Wunder
standen sie da. Fast unbegreislich. Und was daun
seit den siebziger Jahren davon oder dazu kam, das
wirkt wie eine Verstümmelung an einem lebendigen
Körper, wie ein häßlicher Aussatz oder Ausschlag auf
seiner Haut.

Ein solches Städtchen — wenn auch noch lange
keins vvn den schönsten — ist Weinsberg iu Schwaben.
Als ich vor kurzem dahin kam, da war's, wie ich
darauf zu wanderte, als erlebte ich einen scheußlichen
Traum, eine gespeustische Legenve des Mittelalters,
wo ein böser Geist, vielleicht der Geist der Häßlich-
keit, der mit dem Geist des Wahnsinns verschwistert
sein mag, über Nacht ein tolles Spiel treibt, um
eine Gegend, die er haßt, weil sie schön ist, zu
schänden uud zu verschimpfieren. Aber was ich sah,
war von keinem bösen Geist aus Rache dahingestellt,
auch vou keiner industriellen Gesellschast, die auf nichts
sieht als auf größtmöglichen Gewinn, sondern es war
eine Heilanstalt, und war erbaut auf Kosten des
Staates von eiuem durch alle Schulen und Gelehrsam-
keiten hiudurchgegangeuen Regierungsbaurat.

Das muß ich doch sagen: in dem vielverleumdeten,
weil schulmeisterlosen Jtalien, wäre sv etwas Garstiges
auch heute uicht möglich. Und in dem „herunter-
gekommeneu" Frankreich auch uicht. Nichts macht
eben impotenter als das ewige schulmäßige Kopieren.

-«-

Keineu volksmäßigeren und volkstümlicheren Zweig
der Knnst kaun es geben, als den, von dem ich hier
reden will. Aber die Kuust-Prediger sind blind davor
und haben es sich noch nicht einfallen lassen, daß es
hier etwas Wuuderbares zu bewahren und zu be-
schützen gibt, zwar nicht etwas noch lebendig Fort-
zeugendes, — davon sind wir leider weit weg —,

„Sonne". Neckarsulm.

86
 
Annotationen