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Verband der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein [Hrsg.]
Die Rheinlande: Vierteljahrsschr. d. Verbandes der Kunstfreunde in den Ländern am Rhein — 7.1903-1904

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Heft 4
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Bosshart, Jakob: Wenn's lenzt, [4]: eine Erzählung aus den Schweizer Bergen
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https://doi.org/10.11588/diglit.19303#0201

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Ronrad hätte gern seinen wüften Ropf aus-
geruht, aber er fand den Zchlaf nicht, denn feine
schmerzenden Tedanken ließen sich nicht einlullen,
die waren erbarmungslos und risfen und zupsten
an seiner Zeele wie mit scharfen Zangen und
drangen wie fpitzige Nägel in die Bruft. Lr schloß
die Augen und wälzte sich stöhnend von einer Leite
zur andern, und bei jedem Atemzug war es ihm,
es reiße ihm in der Ärust eine ßaser entzwei. Und
wie er fo nach Zchlas und Ruhe rang und die
Äual niederkämpsen wollte und alles nichts half,
da kam über ihn eine helle Wut gegen die Ur-
heberin all seines Wehs.

„Du hast es so gewollt und mit Weiberschlauheit
von langer Hand so gesügt! Überlistet, überrumpelt,
den Zack über die Augen geworsen hast du mir,
du kleiner Zatan! — Du hast mir schon lange nach-
gestellt, das hab ich wohl gemerkt, und jetzt hast
du den Timpel ins 8arn gelockt! L> ich Narr!
ich Narr! — Daß ich mit ihr tanzte, mit ihr nach
Hause ging, mit ihr aus die vermaledeiten Wald-
finken horchte, ihr nachjagte, als trüge sie das
Heil meiner Zeele im Zack herum, und daß
ich ihr den Willen tat und sie einfing! <9, ich
Narr, ich Narr, ich Narr! Und ich hab ihr mein
A)ort verpsändet, ich Trops! — Aber nein, so
weit soll's nicht kommen, die Kreude soll sie nicht
haben, die nicht! Ist es leicht ein Band zu knüpsen,
so ist es nicht um einen Deut schwerer, es wieder
zu-"

Lr machte den Tedanken nicht sertig, denn in
seinem Eeist dämmerte ein anderes Bild herauf:
der Nußbaum und in dessen Dunkel ein Pärchen:
Rosine in seinen Armen, erst wild, dann zahm
und sest an ihn geschlossen, und der Drang ihrer
Lippen eins, und eins der Hlug ihrer Herzen. Nun
kam ihm allmählich die Wahrheit: der kleine Teufel
war in sein Herz gestürmt und klammerte sich sest
und wird sich nicht mehr vertreiben lassen. Die
alte und die neue Liebe machten sich in ihm das
Dasein sauer und er sühlte wohl, wohin sich der
Lieg neigen werde, wohin er sich bereits geneigt
hatte, und das gerade machte sein namenloses
N)ehe: hier Liebe und Leben, dort Liebe und Tod,
hier lohe Elut, dort kalte Verwesung, der Namps
war zu ungleich!

Lr konnte Rosine nicht mehr zürnen, wie er
gern gewollt hätte, alle Lchuld war ja in ihm,
er war ein schwaches, sederleichtes Täubchen, das
mit dem N)ind fliegt, der just der stärkere ist. „G,
Pauline, Pauline, Pauline!" Und er sühlte, wie ihm
die Augenwimpern, wie sehr er sich auch wehrte, zu
zucken begannen und ihm die Tränen über die N)angen
nach den Nkundwinkeln schlichen, salzig, salzig.

Während er so dalag, drang von unten aus
der Nüche ein Eespräch zu ihm heraus, wie der
Nlang von zwei Laiten, einer gespannten, singenden
und einer schlafsen, schnarrenden:

„Was steht der Bub heut nicht aus? N)as ist
das sür eine neue Grdnung?"

i6i

Cregor von Bochmann. Abendfrieden.
 
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