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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 11.1920

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Elftes und zwölftes Heft
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Blümner, Rudolf: Briefe an Paul Westheim, [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.37133#0158

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wollen wir ileissig lesen und uns gemein-
sam erbauen. Ergreift Sie ein Schauder,
Herr Westheim?
„Herr Herbert Waiden will übrigens noch
eine ganze Kunstgruppe in Berlin bekannt-
machen. Diese nennt sich „Der blaue
Reiter" zum Unterschied von der gelben
Nachtigall und dem grünen Wagen und
besteht aus den schlimmsten Sudlern des
20. Jahrhunderts."
Nein, Herr Westheim, Sie irren sich, dieses
haben nicht Sie geschrieben. Es war am
11. März 1912 im Kleinen Journal zu lesen.
Es ist nur die Ähnlichkeit des Stils, die Sie
irreführt. Und vergessen Sie auch nicht,
dass Sie im Jahre 1912 in der neuen Kunst
noch nicht soweit vorgeschritten waren, um
blaue Reiter von blauen Pferden unter-
scheiden zu können. Lassen Sie sich also
das kleine Versehn nicht verdriessen. Jetzt
heisst es, nicht locker lassen und dem Teufel
ins Gesicht schauen.
„Da ist ein Bild, das sein Schöpfer, Franz
Marc, „Die blauen Pferde" genannt hat.
Nachdem das Okapi sich bis ins Zwanzigste
Jahrhundert hat den Augen der Europäer
entziehen können, ist es nicht weiter ver-
wunderlich, dass die Kreuzung von Spick-
aal und Seehund."
Nein, nein, nein, Herr Westheim! Was
tun Sie! Nur keine unüberlegte Handlung!
Was soll die verzweifelte Gebärde? Auch
das haben ja gar nicht Sie geschrieben.
Teufel auch, müssen Sie ein schlechtes Ge-
wissen haben. Nein, nein, das stand am
26. März 1920 im „Tag". Sie dürfen nicht bei
jeder Beschimpfung eines grossen Malers
so ängstlich zusammenfahren. Wir kommen
ja sonst nicht vom Fleck. Hurtig, Herr
Westheim, lassen Sie uns eine neue Seite
aufschlagen.
„. . . Die Frechheit, mit der etwa Herr
Oskar Kokoschka sein geistloses und form-
loses Kleinkindergekritzel als weltenbewe-
gende neue Kunst verkünden lässt ....
Derartige Kunstmacher schreien ein wenig,
um sehr bald an ihrer eigenen Talentlosig-
keit zugrunde zu gehen .... Als ich vor
den Zeichnungen des Herrn Pablo Picasso
stand, machte ich die freudige Entdeckung,
dass ich als Quintaner und Quartaner doch
ein mächtig grosser Künstler gewesen sein
muss .... Dieser Max Feldbauer ....

schlägt die ganzen französischen und
italienischen Zeichenkerlchen mausetot. .
Ich widerspreche Ihnen nicht, Herr West-
heim. Natürlich könnten Sie das auch
geschrieben haben. Aber Sie irren sich
schon wieder. Das hat am 27. Juli 1912
jener Kurt Küchler im Hamburger Fremden-
blatt über eine Hamburger Sturm-Ausstellung
geschrieben, jener Kurt Küchler, mit dessen
Ansichten über Kandinsky Sie damals —
sagen wir konform gingen, jener Kurt
Küchler, an den ich bald noch genauer und
schrecklicher erinnern werde. Wenn Sie
aber vielleicht nur mit den Achseln zucken
und denken: Was ist Kleines Journal? Wer
brauchte auf Kurt Küchlers Meinung zu
hören? — wenn Sie so denken, Herr West-
heim, dann haben Sie ausnahmsweise ein-
mal Recht. Aber doch nicht so ganz Recht.
Sie wissen sicherlich, dass die Auflage des
Hamburger Fremdenblatts schon im Jahr
1912 gross genug war, um einigen Hundert-
tausenden die Verachtung der Kunst zu
predigen. Und wenn ich Ihnen auch zugebe,
dass unter hunderttausend Lesern sich
immer einige befinden, die von Kunst mehr
verstehen, als zehn Westheims und hundert
Küchlers zusammen, so bleibt doch noch
ein ganzes Volk übrig, das, weniger von
Ihnen und Herrn Küchler, als von den
Zeitungen seine Kunstanschauungen bezieht.
Die Gewissenlosen sind die Verleger, die
urteilslosen Menschen jahrelang Verdreht-
heiten und Sinnlosigkeiten zu verbreiten
gestatten. Aber Sie glauben vielleicht, dass
ich Sie ganz besonders schikaniere, indem
ich Ihnen Zeitungen und Kritiken vorsetze,
auf die Sie mit Ihrem unbegründeten Hoch-
mut herabsehen. Nun, Herr Westheim, Sie
zweifeln wohl nicht, dass ich mit Zeitungen
und mit Namen aufwarten kann, die in der
Öffentlichkeit durchaus nicht unter die
Obskuritäten gerechnet werden. Wie denken
Sie zum Beispiel über den Kritiker Max
Osborn? Da haben Sie mal einen Modernen.
Als solcher gilt er Manchen nicht nur
neuerdings oder seit wenigen Jahren, er
geniesst sogar das Ansehen, einer der
Wenigen gewesen zu sein, die der neuen
Kunst von Anfang an mit mehr Kunstver-
stand begegnet sind, als andere. Wenn ich
aber nun nachwiese, dass dieser Max Osborn
— wie soll ich sagen — dass er auch nur
ein Mensch war — würde Ihnen das wohl-
 
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