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Deutsche Kunst- und Antiquitätenmesse [Hrsg.]
Die Weltkunst — 5.1931

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Nr. 29 (19. Juli)
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2

DIE WELTKUNST

Jahrg. V, Nr. 29 vom 19. Juli 1931

Krise der modernen Kunst
Von
Prof. Dr. Julius Baum*)

In der Krise der Kunst spiegelt sich die
Krise der gesamten geistigen Hal-
tung einer Zeit. Die heutige Kunstkrise für
sich allein betrachten, heißt nach der Wirkung
suchen, statt nach der Ursache. Wichtiger als
eine kunstwissenschaftliche Untersuchung
wäre ein Eindringen in dieses verwickelte
Problem vom soziologischen und psycholo-
gischen Standpunkt aus. Versuchen wir, uns
über einige Erscheinungen Rechenschaft zu
geben.
In jedem Zeitalter sind verschiedene Ge-
nerationen nebeneinander tätig. Selten
aber war der Unterschied zwischen dem Glau-
ben der alten, der Weltanschauung der jungen
Generation so weit gespannt wie gegenwärtig.
Das 19. Jahrhundert hat die Maschinen und
dielndustrie geschaffen. Heute droht die Gefahr,
dal} die Maschinen die Menschheit ver-
hungern lassen wie das Gold den König Midas.
Das 19. Jahrhundert hat von der Natur-
wissenschaft die Lösung der Welfrätsel
erhofft. Wir erkennen, daß unser ganzes
naturwissenschaftliches Wissen kein religiöses
Bedürfnis stillt. Das 19. Jahrhundert hat die
Neger missioniert. Heute missionieren
die Neger uns mit ihren Tänzen, ihrer Musik
und ihrer Plastik. Das 19. Jahrhundert lebte
in dem Glauben, Kapitalismus, Sozialismus
und Militarismus seien jeder für sich allein
stark genug, Kriege zu bannen. Der Krieg
hat bewiesen, dal} er auch mit diesen Mächten
fertig wird. Alle die schönen Dinge, deren
Ewigkeit der lebten Generation verbürgt
schien, sind für uns nicht vorhanden, und
unser Leben schaukelt wie ein Boot auf hohem
Meer. Wie sollte eine so fundamentale und
zugleich so bittere Erkenntnis, die unser ganz-
zes Schicksal völlig umgestaltet, nicht auch
die Äußerungen der Kunst und ihr Verhältnis
zu uns selbst ändern?
Kunst ist Handschrift; Handschrift ist Cha-
rakter; unsere Kunst sind wir. Im 19. Jahr-
hundert war das Gleichgewicht zwischen der
Kunst und den übrigen Lebensäußerungen,
wie es mit geringen Unterbrechungen von der
Karolingerzeit bis in die Napoleonische
Epoche hinein herrschte, gestört. Das 19. Jahr-
hundert seßte die Baukunst als Mutter der
Künste ab. Es zerstörte nicht nur die herr-
lichsten alten architektonischen Zusammen-
*) In dieser von uns in Nr. 17 der „Weltkunst“
eröffneten Diskussion nahmen bisher das Wort: Dr.
A. Gold, Walter Bondy, Dr. H. W. Leise-
gang, Dr. Kurt Kusenberg und Dr. Eckart
v. S y d o w.

Inhalt JNr. 29
Alte u. moderne Meister: Sammlung H.
(m. 5 Abb.) .1
,,K rise der modernen Kunst“ '
Prof. Dr. Julius Baum, Krise d. moder¬
nen Kunst u. Kultur.2
Dr. W. Schwabacher:
Die Arbeit des Schwäbischen Museumsbundes 2/3
Dr. W. Holzhausen:

Das Kunstwerk im Raum.3
Dr. E. v. S y d o w :
Afrikanische Plastik.3
Staatliche Graphische Sammlung in München . 3, 7
Auktionsvor berichte (m. 2 Abb.) . . 4
Auktionsnachberichte.4
Ausstellungen der Woche .4
Auktions-Kalender .5
Preisberichte.6
Literatur — Kunst im Rundfunk.6
Ludwig F. Fuchs:
Das Münchener Buch.7
Dr. Otto Demus:
Wandgemälde A. Koligs in Klagenfurt (mit
2 Abb.) .7
Sammlung Ey.7
Die Ottocento-Ausstellung.7
Nachrichten von Überall.8
Unter Kollegen.8

hänge, es war auch, troß der Fülle der Auf-
gaben, baulich unfruchtbar und unbegabt. Der
Baukunst glich das Kunsthandwerk. Aber
neben den (mit, dem Ausmaß nach, unerhört
großen Aufträgen bedachten) unbegabten
Baumeistern saßen still, kaum beachtet, ganz
bedeutende Maler, wie Leibi, Manet, van Gogh,
und schufen Werke, die wir heute unter die
wertvollsten Schöpfungen aller Zeiten ein-
reihen. Das 19. Jahrhundert war in einer ein-
zigartigen Weise das Jahrhundert der Malerei.
Wie man unter Museum schlechthin die Ge-
mäldegalerie verstand, so wurden auch von
den Schöpfungen der Lebenden fast nur die
Werke der Maler von der Allgemeinheit als
Kunst anerkannt; daß Lenbach und Genossen
den Tagesruhm und die Reichtümer ernteten,
die in kunstsicheren Zeiten einem Tizian und
Rubens zufallen, beweist freilich auch die
Oberflächlichkeit des Verhältnisses des
19. Jahrhunderts auch zu seiner Malerei.
Das heutige Geschlecht ist, eben weil es
sich nicht mehr so sicher fühlt, weil es die
Relativität aller Werte besser kennt, ehr-
licher, offener und daher mit der Kunst weit
mehr verbunden. Es hat nicht das Gleich-
gewicht, das alle Äußerungen des geistigen
Lebens noch im Zeitalter Goethes erfüllte;
aber es ist im Begriff, die Hypertrophien und
Leeren des 19. Jahrhunderts zu beseitigen. Un-
geachtet des ungeheuren Artunferschiedes, —
in ihrer Intensität ist unsere Kultur jener
des späten 18. Jahrhunderts zweifellos ver-
wandter als der Kulturlosigkeit um 1870.
Unsere Zeit bekämpft mit instinktiver Sicher-
heit alle spezifischen Werte des 19. Jahr-


Goya-Kreis, Frauenbildnis
Ecole de Goya, Portrait de femme
School of Goya, Portrait of a wife
Pappe — carton — pasteboard, 21 :15,5 cm
Collection H.—Kat. Nr. 7
Versteigerung — Vente — Sale:
Theodore Fischer, Luzern, und Paul Cassirer, Berlin,
Luzern, 1. September 1931

hunderts. Selbstverständlich empfinden die
Vertreter und Inhaber solcher Werte diese
Abkehr als Krise. Innendekorateure veran-
stalten Protestversammlungen gegen den
Geist der Zeit, als ob hierdurch eine ver-
gangene Ornamentik wieder ins Leben ge-
rufen werden könnte. Posamentiere sind
brotlos geworden. Kunsthändler, die den

Mittelstand mit sicheren Kapifalwerten be-
lieferten, haben ihre Läden schließen müssen.
Für die heutigen Menschen ist die Kunst nicht
eine äußerliche Zugabe, sondern gar nichts
oder etwas Wesentliches. Ihnen bereitet eine
Lokomotive, ein Luftschiff denselben Genuß
wie den Zeitgenossen
des Alberti eine gut
proportionierte Säulen¬
front oder den Freun¬
den Winckelmanns die
edle Einfalt und stille
Größe der Antike.
Unser erstrebenswerte¬
stes Kunstwerk ist
unser Haus in sinn-
vollen Formen. Eine
Brücke, eine Bahnhofs¬
halle, ein Stuhl ist uns
ein freudiger Anblick,
wenn die Formgebung
unserem Lebensgefühl
entspricht. Diese Form¬
gebung ist schlicht,
hart, sachlich, wie es
unserem herben Zeit-
alter ziemt, das seine
Schöpfungen im Troß
gegen die eigene Un-
ruhe hinstellt. Die Un-
ruhe selbst tobt sich in
der Geschwindigkeit
der Verkehrsmittel und
in den leichten Künsten
aus, im Jazz, Kino,
Schallplattenkonzert,
die hierfür eigens er-
funden scheinen. War¬
um sollten wir die Er¬
weiterung der ernsten
Kunst durch die tech¬
nischen Künste nicht
dankbar hinnehmen?
Noch ist die Malerei
nicht durch die Photo¬
graphie, noch Beet-
hoven nicht durch den
Jazz verdrängt; beide
haben nebeneinander
Plaß. Daß die beste
Handarbeit heute tech¬
nische Werte schafft,
statt der Möbel und
Goldpokale vergange¬
ner Zeit, hindert nicht,
daß die neuen Woh¬
nungen und Maschinen,
kunsthandwerklich be¬
trachtet, ebenso stil¬
volle Lösungen sind
wie Rokoko-Einrich-

Architektur anzupassen wissen, dafür gibt e5
genügend Beispiele. In der Tat leben heufe
im Verhältnis wohl nicht viel weniger gut be'
schäftigte und reichlich bezahlte und ander'
seits nicht viel mehr in ihrer Bedeutung ver'
kannte Künstler als zu anderen Zeiten.



Aristide Maillol, Torso (L’action enchainee)
Blei — plomb — lead, 125:70 cm — Collection H.—Kat. Nr. 39
Versteigerung — Vente — Sale:
Theodore Fischer, Luzern, und Paul Cassirer, Berlin,
Luzern, 1. September 1931

fungen oder gotisches
mittelalterliches Strebewerk. In der heutigen
Entwicklung fällt den alten Künsten, be-
sonders der Malerei, nicht mehr die aus-
schließliche Führung zu. Daß die instinkt-
sicheren Maler und Bildner unserer Tage
sich dem Stil der Technik und der neuen

An eine Krise der Kunst im Sinne einef
Gefahr für ihre Existenz vermögen wir dahet
nicht zu glauben; denn die Kunst lebt, so'
lange Menschen leben. Nur was nid?
lebenskräftig ist, stürzt heute vielleicht he‘'
tiger als sonst.

Von der Arbeit des >Scbwäbiscben

Museumsverbandes

Von der Arbeit dieses Museumsverbandes,
eines von der staatlichen Kunstfürsorge un-
abhängigen Selbstverwaltungskörpers, dringt
seifen etwas nach außen. Im Zusammen-
wirken mit dem Kunsthandel vollzieht sie sich
auch mehr in der Stille der musealen Tages-
tätigkeit, in dem internen Bieneneifer der bei-
den Verbandsgeschäftsstellen Augsburg und
Ulm, deren Aufgabe es ist, den schwäbischen
Honig aus dem Kunstbetrieb des Tages zu
saugen.
Was aber davon doch allmählich nach
außen dringt, ist die ruhige, dafür aber um

so dauerndere wissenschaftliche Tätigkeit d,e
Verbandes. Von ihr legen vor allem die vor'
nehmen Hefte der nunmehr bereits in sed1.
Jahresbänden vorliegenden Verbandszeitsclbd
„Das schwäbische Museum“ hervU
ragendes Zeugnis ab. ,
Das soeben erschienene erste Doppelte
des 7. Jahrganges ist Anlaß genug, einh1®
auf die Bedeutung dieser von einem festund
rissenen Programm geleiteten publizistisch?
Museumsarbeit Ludwig Ohlenroths
merksam zu machen. Ihr größter Vor/1»
gegenüber anderen Kunstperiodica ist d|C

GEGRÜNDET 1806

GALERIE E.A. FLEISCHMANN

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