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DIE WELTKUNST

Jahrg. V, Nr. 3’6 vom 6. September 1931

Ueberladenheit und ihrem „horror vacui“ der
Kunst der Schizophrenen nicht unähnlich sind.
Diese Ausstellung, die einige endgültige Bil-
der des Meisters zeigte und dann eine ganze
Reihe von zwiespältigen Werken, wäre sehr
geeignet für eine psychoanalytische Befrach-
tung von Utrillos Schaffen, wenn nicht bei
manchen die Untermalung und Vorzeichnung
lediglich — um einen Begriff der Kunst-
geschichte des Mittelalters zu gebrauchen —
als „Werkstaftarbeit“ anzusehen sind.
Neben diesen intuitiven Malern, die fast nur
im Trance und in Trunkenheit ihre Träume ver-
wirklichen konnten, finden wir in der Gale¬

rie Bon je an Bilder des jungen Italieners
Mario Tozzi (Abbildung Seite 5) vereint,
der ebenfalls Traumgebilde schafft, sie aber
nicht aus seinem Unterbewusstsein schöpft,
sondern sie in langen metaphysischen Denk-
prozessen konstruiert. Es sind geseßmäßige
Bilder, tektonisch gebunden, von einer sel-
tenen Geschlossenheit der Form, von einem
ganz außergewöhnlichen Reiz des Konturs —
dies ist wieder das Erbe der Italiener — und
einer troß aller Realität traumhaften Trans-
cendenZj die uns die Bilder Tozzis oft rätsel-
haft, aber immer höchst reizvoll erscheinen
lassen.

Krise der modernen Kunst
Von
Direktor Dr. Frhr. Schenk zu Schweinsberg

In dieser von uns in Nr. 17 der „Welt-
kunst“ eröffneten Diskussion nahmen bisher
das Wort: Dr. A. Gold, Walter Bondy,
Dr. I-I. W. Leisegang, Dr. K. Kusen-
berg, Dr. E. v. S y d o w und Prof. Dr.
J. Bau m. Wir geben diesmal Dr. Frhrn.
Schenk zu Schweinsberg, dem
Direktor der Städtischen Kunstsammlung in
Wiesbaden, das Wort.
Bild und Bürger
Viele Leser sind im Sommer in ländlichen
Bezirken gewesen. Dabei könnte ihnen aus
dem Gegensaß eine der Existenzgrundlagen
des Tafelbildes unmittelbar anschaulich

ererbt oder aus besseren Zeiten herüberge-
rettef, einen alten Holländer, ein deutsches
Bild des XVIII. Jahrhunderts anzutreffen und-
noch viel weniger ein Familienbiid aus dem
Biedermeier. Beim Bauern könnte es sich
höchstens um ein ganz versprengtes Stück
handeln, um eine der Ausnahmen, die die
Regel bestätigen. Und doch ist die bäuerliche
Existenz keineswegs kunstarm. Noch bis
heute und jedenfalls bis vorgestern haben und
hatten sich in der Tracht, im Hausbau, im Ge-
rät Formen und Formgefühl erhalten, die
ästhetisch denen der städtischen Existenz
weit überlegen waren.


Modigliani, Akt (1918)
Nu — Nude
Ausstellung — Exposition — Exhibition:
Paris, Galerie Marcel Bernheim & Co.

er angegriffen, weil viele einen Feind in der
neuen Kunst wittern. Man ist nicht teilnahms-
los — nach meinen Erfahrungen —, aber aus
unmittelbarer feindseliger Einstellung schwer
herauszubringen. Doch soweit der Bürger im
Künstler das Morgen bekämpft, kann er sicher
sein, zu unterliegen. Es muß kommen, und
soweit der Künstler ein

lieblichen Zahl aus geschichtlicher Erfahrung
weit unwahrscheinlicher als das Gegenteil-
Auch wenn in dem vierten Jahrzehnt de5
XX. Jahrhunderts nur ein Zehntel der Bilder
des Vorangehendem gemalt wird, besteht noch
kein Grund, von einer Krise der Malerei, (Je'
schweige denn, der Kunst, zu sprechen.

schöpferischer Mensch,
also wahrhafter Künst-
ler ist, ist er ihm, näher
als jeder andere, denn
er arbeitet mit an
seiner Kristallisation,
übrigens gibt es die
Gegenprobe: in dem
bürgerlichsten Land
Europas hat die Ma-
lerei sich eine außer-
ordentliche Achtung
und eine geheime
Bindung zum Bürger
bewahrt. Und unsere
deutsche „haute bour-
geoisie" fühlt nicht um-
sonst den Zug zur fran-
zösischen Malkunst.
Kein Zweifel kann
daiüber bestehen, daß
die äiußereBasis für den
Maler in Deutschland
unendlich schmal ge-
worden ist, jedenfalls
sind die Reste der kur-
zen Blüte bürgerlichen
Wohlstandes nicht im-
stande, die Summe
derer zu ernähren, die
ungezählte staatliche
und städtische Kunst-
erziehungsanstalten in
Jahrzehnten unbeküm-
mert um ihre Zukunft
ausgebildet haben —
und was viel schlimmer
ist — noch ausbilden.
Der Staat ernährt müh-


malerischen

Edouard Manet, Kind mit Kirschen (1858)
L’Enfant aux cerises — Child with cherries
Collection Gulbenkian
Ausstellung — Exposition — Exhibition:
Paris, Galerie Paul Rosenberg

sam die verarmte
Bourgeoisie und erzieht
zugleich immer noch
Künstler, die nur von
einer blühenden Bour¬
geoisie ernährt werden
könnten.
Mit einem Schrumpfen der
Produktion werden wir uns ohne Zweifel
schon aus äußeren Gründen abfinden müssen.
Es ist aber auch' die seelische Erschwerung
der Arbeit gerade für den Maler eine außer-
ordentliche. Das Schaffen ohne oder mit sehr
begrenztem Widerhall ist nur dem starken
Künstler möglich. Er wird auch Kunstformen,
denen die Zeit sich vielleicht entfremdet, mit
seinem Leben füllen. Meiner Überzeugung
nach besißt Deutschland gegenwärtig eine
Reihe solcher Künstler; wie groß diese Reihe
ist, darüber wird sich schwer eine Einigung
herbeiführen lassen. Allerdings ist gerade für
den Kunsthistoriker die Annahme einer er-

Beharrt die Baukunst entschlossen auf
Linie der klaren Form, kräftigt sich der ur'
alte Drang des Herrschens weiter in ihr, da11
werden ihr auch weiter die Kräfte zuwach5enj
deren sie zur Entwicklung bedarf. Dann W|r
ihr auch weder die Malerei noch die Skulf’U
fehlen, die mit ihr ergänzend oder gleicl1'
gerichtet zusammenklingen. Dann wird °s'
XX. Jahrhundert keine Ursache haben, sich v°
dem XIX. zu verstecken. Und wenn T3
heute durch ein Villenviertel der 80er ode
90er Jahre geht, zweifelt.man jeßt schon kau> j
daß wir alles etwa Fehlende mindestens kob1
pensieren werden mit dem, was jeßt sch°
gebaut wird.

geworden sein. Im B au e r n h a u s erwarten
wir kein Tafelbild. Wir wundern uns nicht,
auch in bescheidenem B ü r g e r - Hausstand,

Inhalt Nr. 36
Dr. F. N c uga s s:
Pariser Kunstsommer (m. 6 Abb.) .... 1/2
Dir. Dr. Frhr. Schenk zu Schweins-
berg:
Krise der modernen, Kunst.2
G. R e i n b o t h (Rom):
Wird das römische Nationaldenkmal gefärbt? 2/3
Augsburger Akademie.3
Auktionsvorberichte (Galerie Tamm, m. Abb.) . 3
Auktions-Kalender.. . 3
Ausstellungen der Woche . . . . 4
Literatur — Preisberichte — Kunst im Rundfunk 4
Nachrichten von Ueberall .G
Unter Kollegen.6
«English Supplement» .5
End of the London Season — Munich’s Recon-
struction as Art Centre

Wir können uns hierdurch daran erinnern,
daß das Tafelbild weder in seiner Entstehung
noch in seiner Entwicklung von der des
Bürgertums zu trennen ist. Das bürgerliche
Holland des XVII., das sehr bürgerliche Frank-
reich des XIX. Jahrhunderts sind unbestrittene
Höhepunkte nach Umfang und Wert der
Leistung auf diesem Gebiet.
Zur Zeit sind wir offenbar in einer wider-
spruchsreichen Lage: Maler arbeiten, ohne
daran zu denken und ohne es — Gott beihüte
— zugeben zu können, — für ein Bürgertum
meist antibourgeoise Bilder. In Deutschland
hat es aber eine geschlossene selbstbewußte
bürgerliche Schicht überhaupt nur selten ge-
geben und, jeßt ist sie in ihrem materiellen
Bestand erschüttert und in ihrem Selbst-
bewußtsein mindestens ebenso unsicher ge-
worden. Außerdem wittert das Bürgertum in
der Kunst von heute ein Morgen, das neu,
fremd und vielleicht noch feindlicher sein wird
als die Gegenwart.
Denn das ist eine Erfahrung, die der mit
der Kunsfpflege Betreute immer wieder
machen wird: kommt er — als, ein des Mo-
dernismus Verdächtiger — in einerlei wie zu-
sammengeseßte Gesellschaftskreise, so wird

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Beherrschend über dem heutigen Rom steht
weder das Kapitol noch die Peferskirche, wie
Pietätvolle erzählen und glauben machen
wollen, sondern der Block des National-
monuments, des Denkmals für Vitiorio
Emanuele II., Grabmal des unbekannten Sol-
daten Italiens und „Vitforiano“. Das Denkmal
hat von der Zeit seiner Errichtung an eigentlich
nur Attacken aller Leute mit Geschmack, kaum
aber Verteidiger gehabt. Seine einzige posi-
tive Seite ist die, daß es groß ist, daß es weiß
ist und daß es aus Marmor mit sehr vielen
Goldpuppen gebaut ist. Aber die Stellung
im Geistesleben der italienischen Nation hat
sich für dieses Denkmal eben durch die Hin-
einverlegung des Grabes des unbekannten
Soldaten so gefestigt, daß für eine Zeitlang
alle Angriffe gegen das „Luxuspissoir“, wie
die Futuristen das Monument nur noch be-
zeichneten, abgeblasen wurden. Der römische
Stadfbaupian rückt aber das Monument aber-

Revue mensuelle illuströe
Editöe en FRANQAIS et en ANGLAIS

mals in den Brennpunkt der Interessen, in j°5
fern das Denkmal nämlich den Blickpunkt de5
ncuerstehenden Roms bilden wird. Nicht o
Kapitol ist das Zentrum des auferstehen1'^
Roms. Denn das Vitforiano ist so hoch u(l
breitausladend, daß es von der Stadtseite b
das Kapitol samt Aracoeli überhaupt verde^U
von der Forum- und Esguilinseite her aLt)
durch seine grelle Weiße den Blick notwend-
ablenkt,. Größe und Weiße erweisen sich fb .
mehr praktisch so sehr als Nachteile, a
auch die offiziellen Stadtbaumeister
diese/ ästhetischen Mängel anerkenn
müssen, nachdem schon eine GeneralreinKJ11'
das Denkmal von ungefähr 60 % des plastis0-^
goldenen „Schmuckes“ befreit und die kla5/n
zierenden Linien etwas reiner heraustrcI
ließ. Nach Niederlegung der vom Traian.-e
viertel trennenden Hausgruppen wird aber .£
grelle Weiße auch die Trajansmärkte und
Augustusbauten erschlagen wie sie öe(1
Palazzo Venezia und das Kapitol mit i'11

Wird das römische Nationaldenkmal
gefärbt?

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