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27. SEPTEMBER 1931

V. JAHRGANG, Nr. 39


ARTaWORLD

LMONDE<foART5

ILLUSTRIERTE WOCHENSCHRIFT
das internationale Zentralorgan für kunst / buch / alle sammelgebiete und ihren markt

Erscheint jeden Sonntag im Weltkunst-Verlag, G. m. b. H.,
Berlin W62, Kurfürstenstr. 76-77. Telegramm-Adresse: «Weltkunst Berlin».
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Haag 145512; Paris 118732 ; Prag 59283; Wien 114783; Zürich 8159
BARI SER BÜRO: 5, rue Cambon, Paris Ier, Telephone: Louvre 4444

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Redaktio n, Verlag und Lesesaal:
Berlin W62, Kurfürstenstr. 76-77 • Tel. B5 Barbarossa 7228
Herausgeber Dr. J. I.von Saxe

Man abonniert beim Verlag, bei der Post oder bei den Buchhändlern.
Einzel-Nummer 50 Pfennig. Quartal für Deutschland inklusive Postzustellung
Mark 4,50: Lieferung durch den Verlag im Umschlag Mark 5,50; für das
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slowakei Kc 45; Frankreich und Belgien fr. Frs. 35; Holland hfl. 3,25: Eng-
land £ /5/6; Schweiz und die nicht angeführten Länder sfrs. 7; Übersee $ 1,50

WERTHEIM : DAS BIBLOGRAPHIKON
Berlin w 9. leipziger str. Alte Graphik Selten® Bücher Moderne Kunst

Volksmuseum oder
Gelehrteninstitut?

Wir geben im folgenden einer Abhand-
lung unseres Mitarbeiters Dr. F. Eckhardt
Raum, die einige weitere Gesichtspunkte zu
der im letzten Jahrgange der „Weltkunst“
stattgehabten Diskussion über das Problem
neuzeitlicher Museumsorganisation erörtert,
ohne uns mit den Einzelheiten der Ausfüh-
rungen des Autors identifizieren zu wollen.
Die Redaktion.

Die Rede des preußischen Unterrichts-
ministers Dr. Grimme zur Eröffnung der Ber-
liner Museumsneubauten im vergangenen
derbst war auf folgender Fragestellung auf-
Sebaut: Haben wir heute, in der Zeit größter
Wirtschaftlicher und sozialer Not, überhaupt
das Recht, Millionen in ein Kunstmuseum zu
stecken? Ich glaube, es lag damals eine stark
dramatische Spannung über dem Saal, als es
ejne Zeitlang fast schien, als wollte der Unter-
Jichtsminister die Frage verneinen und der
festlichen Stimmung damit einen Schlag ins
Gesicht verseßen. Aber eben auf dieser
Spannung beruhte die stark rhetorische
Wirkung der Rede und ihres erlösenden
Motivs: Wir hätten das Recht nicht, wenn
dicht die Kunst, neben der Religion, das
stärkste Mittel wäre, ein Volk zu ergreifen
dnd zu bilden. Damit war das Programm der
deuen Museen eigentlich ausgesprochen: ein
Volksmuseum zu sein.
Zwischen Programm und Ausführung liegt
®ber ein weiter Weg. Die Museen beklagen
S‘ch über schlechten Besuch. Ich meine jeßt
dicht gerade die Berliner Museen, die eben
durch die ungeheure Vergrößerung in den
dßten Monaten einen Rekordbesuch aufzu-
weisen hatten, sondern die Museen im all-
gemeinen. Man hat sich schon verschiedent-
i dch den Kopf darüber zerbrochen, was daran
Schuld sein könnte. Die Menschen sind eben
; Inders geworden, sagt man sich, Kunst lockt
dicht mehr, die neue Generation will Sport,
Sensationen usw. Man glaubt auch, daß die
Wirtschaftliche Not eine große Rolle spielt,
düß die Sorge um wichtigere Dinge die Men -
[ |.elien davon abhält, ihre leßten paar Groschen
’ür einen Museumsbesuch oder nur für die
I iraßenbahnfahrt dorthin auszugeben. Man
:(cnnte aber auch der Ansicht sein, daß die
l|>ealen Dinge gerade dann für uns be-
I Rinderen Wert bekommen, wenn wir uns aus
: unerquicklichen Bereich der Realität
juchten wollen. An eines aber scheint man
y°n seifen der Museen noch nie gedacht zu
?uben, daß der Kern des Übels an den
! Museen eben selbst liegt.
Was bieten uns heute die Museen?
I |. Ist es nicht Aufgabe genug, „Kunst“ zu
lr*cten, werden sofort diejenigen erwidern, die
nmer nur nach einem Räuspern vor Ehrfurcht
: pd einem Schlucken aus Diskretion von
■■Kunst“ sprechen, die am liebsten Kunst her-
I Misch von der Außenwelt abschließen wür-
\ pn. Wer keine Beziehung zur Kunst hat, dem
°nnen wir eben nicht helfen!
]. Ist das aber die Aufgabe, die der Herr
I [^Uterrichtsminister zur Rechtfertigung der
j th en> für »Kunstpflege“ verausgabten Sum-
I t’en von den Museen verlangt oder eigentlich

als erfüllt annimmt? Meist prangt zwar von
den Fassaden der Museen ein Saß in
goldenen Lettern, in dem irgendwie die beiden
Worte „artem“ und „populo“ vorkommen. Wie

Aufsaß über „Öffentliche Kunstpflege“ in
dieser Zeitschrift (5. Mai 1929) schon einmal
festgestellt haben. Werden diese Gelder auch
wirklich zur Kunstpflege verwendet oder


Camille Corot, La Bohemienne
Collection E. S t a u b - T e r 1 i n d e n , M ä n n e d o r f - Z ü r i c h

sieht es aber in Wirklichkeit um die vom Staat
für „Kunsfpflege“ verausgabten Mittel aus? Im
preußischen Haushaltungsplan vom Jahre 1929
fanden sich nicht weniger als 3,9 Millionen
für die staatlichen Museen, wie wir in einem

dienen sie nicht nur der Aufrechterhaltung
einer Spezialgelehrsamkeit, die sich in den
Mauern unserer Museen festgeseßt hat? Was
verursacht die größten Auslagen unserer
Museen? Ist es nicht die Erhaltung eines

riesigen wissenschaftlichen Apparates, dessen
Aufgabe leßten Endes die Klärung mehr oder
weniger wichtiger Detailfragen ist. Durch die
dabei gemachten Feststellungen wird kein
Mensch glücklicher (mit Ausnahme vielleicht
des Gelehrten, dem gerade die „Ent-
deckung“ gelungen ist), auch wird kaum ein
Künstler oder ein anderer schaffender Mensch
zu neuer Produktivität angeregt werden, und
das sollte doch eigentlich der leßte Zweck
jedes Museums sein!
Es soll nicht geleugnet werden, daß die
Museumsverwalter, denen Werte von vielen
Millionen anvertraut sind (leider sind eben
Kunstwerke heute, mehr als je, festgeseßte,
meßbare Werte!), eine gründliche kommerzielle
Kenntnis des Faches besißen müssen, aber
damit erschöpfen sich nicht ihre Auf-
gaben, die unter dem Schlagwort „Kunst-
pflege“ zu verstehen sind! Wenn es aber
heute nicht Menschen von genügend univer-
salem Wissen gibt, die neben ihren sachlichen
Kenntnissen auch noch die entsprechenden
pädagogischen Fähigkeiten besißen, muß eben
das Direktorium eines Museums von zwei
Richtungen aus geführt werden, die sich in
ihrer Tätigkeit ergänzen.
Was unsere Museen heute wirklich leisten,
ist doch meist reine Konservierung, solange
sie sich auf den, um es drastisch auszu-
drücken: Iß Vogel oder siirb-Standpunkt
stellen. Es ist dabei im Prinzip gleichgültig,
ob unsere Museen für alle Menschen zugäng-
lich sind oder nicht, solange sie die un-
geheuren Werte, die sie enthalten, nicht auch
aktiv zu verarbeiten suchen.
Bei einer Rücksprache mit dem General-
direktor der Berliner Museen, Herrn Geheim-
rat Waeßoldt, machie ich den Vorschlag, zwei
oder drei junge Kunsthistoriker oder Päda-
gogen (die Hauptsache ist, daß sie beide
Fähigkeiten in gleichem Maße besißen) mit der
Organisierung der Führungen zu betrauen,
damit täglich etwa 6—10 Schulklassen
von Leuten geführt werden, die sowohl eine
Beziehung zur Kunst haben wie die Fähig-
keit, Kunst den jungen Leuten näher zu
bringen. Die Kosten einer solchen Kraft
würden im Jahr etwa 3600 M. betragen, von
dreien also kaum über 10 000 M., was in einem
Jahresbudget von 3,9 Millionen wirklich ein
verschwindender Bruchteil ist. Die neue Ge-
neration zu einem wirklichen Verstehen zu er-
ziehen, scheint mir aber eine der ersten Auf-
gaben jeder öffentlichen Kunstpflege. Troß-
dem wurde mein Vorschlag damals als gänz-
lich undurchführbar erklärt, später erst erfuhr
ich, daß amerikanische Museen ähnliche
Stellen bereits besißen in einem Director of
Educational Work, der einen Stab von Führern
unter sich hat.
Nicht alle unserer Museen haben aber
einen Direktor oder einen Beamten, dem
die kunstpädagogische Auswertung seines
Museums zureichend gelingt. An einer
Hand könnte man diese „weißen Raben“ auf-
zählen! Man sehe sich daraufhin nur einmal
eine Kunsibibliographie der leßten Jahre an.
Dußende von jungen Volontären werden jähr-
lich an unseren Museen aufgenommen, von
denen automatisch immer wieder eine Anzahl
in den festen Status der Beamtenschaft ein-
rückt. Ich wüßte aber nicht, daß jemals die
Auswahl auch nach den pädagogischen Quali-
täten erfolgt wäre.

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