Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 3.1908

DOI article:
Hamann, Richard: Das Wesen des Plastischen
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.3433#0018
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
14 RICHARD HAMANN.

Bildhauer in der Skulptur zu bilden vermag. Sowenig Plastik mit
Skulptur identisch ist, da sie gemalt werden kann, und sowenig eine
herrliche Bildhauerarbeit vom Gesichtspunkt der ausdrucksvollen
Menschendarstellung wie Donatellos Johannes in Venedig schon eine
Plastik ist, das nahe Verhältnis, das Plastik zur Skulptur hat, haben
wir damit nachgewiesen.

Vom Standpunkte der Menschendarstellung hat das Material der
Skulptur seine großen Bedenken. Donatello hat mit Recht diesem
Johannes durch Bemalung einen höheren Ausdruck des Lebens mit-
zuteilen versucht, und Gott Vater, der dieser Statue aus Lehm
Leben einbliese, würde seine Sache als Menschenbildner doch noch
besser machen. Dagegen kann die Plastik dieses harte, leblose Ma-
terial nicht nur vertragen, sie verlangt es sogar. Je fester, desto körper-
hafter und desto plastischer. Es ist gar kein Zweifel, daß für ein
plastisches, auf Körperbildung ausgehendes Bedürfnis ein lebender
menschlicher Körper häßlicher ist als eine in Stein festgewordene
Statue, weil der Stein oder die Bronze die Bestimmtheit der Formen
garantieren und uns die Sicherheit geben, daß — wollten wir einmal
die bloß erinnerte Tastbewegung real ausführen — nicht plötzlich das
nachgiebige Material des Fleisches sich zusammendrückt und die Form
uns unter den Händen zergeht.

Durch diese Beziehung des Sichtbaren zu auszuführenden zu-
sammenhangsvollen Bewegungen des Abgreifens erhält die Plastik
einen bestimmten Charakter, von dem aus man auch einen Einblick
gewinnt in das Wesen oder den Geschmack von Zeiten, Völkern,
Personen, die für Plastik Verständnis und plastische Bedürfnisse haben.

1. Plastik erfordert nicht den ruhenden, sondern den aktiven, den
sich bewegenden Menschen.

2. Die Plastik.ist fest und bestimmt, hat nichts sinnlich Ein-
schmeichelndes, sondern etwas motorisch Innervierendes. Sie wirkt
durch den Anblick auf den Willen und die zusammenfügenden logi-
schen Kräfte des Menschen. Plastik ist daher eine strenge und männ-
liche Kunst. Merkmale eines entschiedenen Willens sind deshalb nicht
zufällig mit Ausdrücken belegt, die auch von der Plastik gelten, wie
die Härte, die Unbeugsamkeit des Willens.

3. Plastik wendet sich an die instinktiv regulatorischen Seiten
unseres Lebens, an die Körperlichkeit, nicht an die höheren und ab-
strakteren geistigen Fähigkeiten. Insofern ist sie in gewisser Weise
eine ursprüngliche Kunst.

4. Indem mit zunehmendem Alter oder sich steigernder Kultur die
optischen Erfahrungen immer mehr ohne direkte Erinnerung oder Vor-
stellung der motorischen Erlebnisse, denen sie ihren Wert verdankten,
 
Annotationen