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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 5.1910

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Utitz, Emil: Naturalistische Kunsttheorien
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https://doi.org/10.11588/diglit.3528#0094

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gO BEMERKUNGEN.

weil die Freude an der Nachahmung den eigentlichen Kern des ästhetischen Ge-
nießens ausmache. Was kann nun mit dieser Freude gemeint sein? Manche — und
unter ihnen befindet sich schon Aristoteles — antworten: es sei dies die Freude
am Wiedererkennen. Daß es eine derartige Freude gibt, scheint mir eine unzweifel-
hafte Tatsache, aber ebenso sicher hat diese Freude mit ästhetischem Genießen
nichts zu schaffen, da sie ja ein intellektuelles Vergnügen am Wissen, Erkennen
ist. Andere sagen wieder, es handle sich um die Freude am Können des Künstlers.
Auch diese Ansicht erfreut sich einer großen Popularität. Soweit dabei lediglich ein
vorstellungsmäßiges Vertiefen in die Erscheinung der dargebotenen Tüchtigkeit
u. s. w. mitspielt, wird man ästhetische Eignung zuerkennen können, aber meist
wirkt sich dabei auch nur eine intellektuelle Freude aus. Ferner erhebt sich da die
Gefahr, daß an Stelle des Werkes das in ihm dargelegte Können genossen wird.
Dies führt wieder zu einer Kunstanschauung, die nur Überwindung von Schwierig-
keiten schätzt, also zur Bewunderung des krassen Virtuosentums, der geschickten
Mache. In diesen Formen läßt sich die Nachalimungstheorie nicht halten. Aber
unsere Aufgabe kann es hier nicht sein, nachzuforschen, in welcher Weise doch
die Lehre von der Nachahmung für den Ästhetiker von Bedeutung ist. Uns be-
schäftigt ja das Problem des Naturalismus. Diesen auf die Nachahmungstheorie
aufzubauen, ist jedenfalls unmöglich. Man führt dabei lauter unkünstlerische Mo-
mente ein, die sich im praktischen Betriebe arg rächen.

Damit wären die Hauptmöglichkeiten von Begründungsversuchen für natura-
listische Kunstlehren erschöpft. Es ergeben sich aber noch verschiedene Spielarten.
Es hätte nun keinen Wert, auf alle einzugehen; es mögen nur diejenigen genannt
werden, die besonders charakteristisch sind.

4. Wir können von einem »objektiven Naturalismus« sprechen, der darin be-
steht, daß er das Naturvorbild als einziges Objekt betrachtet und der Kunst die
Aufgabe stellt, diesem Objekt möglichst nahe zu kommen. Dies ist etwa der Sinn
der berüchtigten Kunstdefinition von Arno Holz: »Die Kunst hat die Tendenz
wieder die Natur zu sein. Sie wird sie nach Maßgabe ihrer jeweiligen Reproduktions-
bedingungen und deren Handhabung.« Danach bestünde die Kunst nur durch die
Mängel ihrer Mittel; und diejenigen wären die besten, welche am täuschendsten
das Naturbild erreichen würden. Bei deren idealem Zustande fielen Kunst und
Naturobjekt zusammen. Jedenfalls müßte da auch der Photographie oder dem
Kinematograph ein besonders hoher Kunstwert eignen. Doch jedes kritische Wort
mehr wäre schon zu viel; diese Lehre richtet sich selbst. Dergestalt erscheint der
Naturalismus als eine geradezu unglaubliche Beschränktheit.

5. Vernünftiger gibt sich der logische Naturalismus. Er kann auf eine lange
Ahnenreihe zurückblicken; denn bereits Boileau gab die Parole aus: rien n'est beau
que le vrai. Aus der Lehre, nur das Wahre gefalle, zogen nun manche den Schluß,
nur eine naturwahre Kunstrichtung habe Aussicht auf Erfolg. Dieser Anschauung
liegt eine Verwechslung der künstlerischen Wahrheit mit Naturwahrheit zu Grunde.
Ein räumlich unmögliches Landschaftsbild wird uns schwerlich gefallen, weil es in
sich widerspruchsvoll ist, also schlechterdings nicht einen einheitlichen Eindruck
hervorzurufen vermag. Aber ganz gleichgültig ist es, ob diese gemalte Landschaft
auch in Wirklichkeit irgendwo sich findet oder überhaupt finden kann. Nicht das
Erlebnis des Wahren strebt als letztes Ziel die Kunst an, sondern ganz allgemein
Ästhetisch-Wertvolles; dies aber liegt auch im Reiche kühner Phantasiegebilde,
welche das tägliche Leben nicht kennt.

So scheitern meiner Ansicht nach alle Versuche, den Naturalismus zu stützen
und zu rechtfertigen. Aber wenn wir uns genötigt sahen, sie abzuweisen und für
 
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