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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 5.1910

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Vallentin, Berthold: Shakespeares Sonette und ihre Umdichtung durch Stefan George
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https://doi.org/10.11588/diglit.3528#0269

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Bemerkungen.

Shakespeares Sonette und ihre Umdichtung durch
Stefan George.

Von

Berthold Vallentin.

Die ersten Versuche des deutschen Genius im 18. Jahrhundert, aus den noch
Ungewissen Spannungen einer neu gesehenen Tatsächlichkeit ein neues Künstlerische
zu formen, hatten ihre sichernde Umfassung und ihr nährendes Feuer im Drama
Shakespeares. Obwohl Goethe durch die gebändigten und bändigenden Maße
griechischer Welt zu einer ebenbürtigen, ein eigenes Ideal veranschaulichenden
Gewalt heraufwuchs, blieb diese Kraft ihm gegenüber durch ein Jahrhundert fort-
wirkend allein imstande, eine künstlerische Gemeinschaft in Deutschland zu bilden.

c •

aem, des Einen, Nahen, Lebenumfassenden großes komplexes Anfordern an den
uesamtmenschen unterlag der Bereitschaft, mit der ein Teil des fremden, zeitlich
ntrückten Genius, sein Drama, einem einzelnen Organ, dem konventionell ästhe-
ischen entgegenkam. Aber es bleibt ein Adel dieses sonst aller geistigen Vor-
rechte entkleideten Jahrhunderts, daß es in dem einen Besitze Shakespeare eifer-
suchtig ein echtes Kunstgut hütete, das noch den schlimmsten Verirrungen der Zeit
"*~ dem sogenannten modernen Drama — den Schimmer seiner gottväterlichen Ge-
burt ließ.

Als endlich nach der gänzlichen Wegwerfung an niedersten Alltag, mitten in
en Zerklüftungen auseinanderschießender Bildungswüte die Sammlung des Deut-
en auf ein Gesamtdichterisches erst Begehr und dann Gewähr wurde, mußte
er Geist, der einseitig das Gestalterische, Charakterisierende in dem großen
1'sehen Erbe angeschaut hatte, demjenigen weichen, der das ganze Erbe ans
lcht hob, beweisend, daß alle Gestalt ins Dichterische erst Wuchs nimmt durch
das Ganze durchwaltenden dichterischen Atem, der sich prometheisch aus
a tung, Maß, Sprache des Dichtervolkes nährt. Alles das war und ist noch heute
Shakespeare selbst, verloren aber in seinem nur dem dramatisch Gestalteten
C1 besessenen Erbe. So war, wie in der Frühe deutscher Dichtung am Ein-
ng Goethes der Einhub ungeheurer Gestaltenfrachten und Aktionströme, nun die
rweckung verborgen im Volksinnern, im Sprachinnern glimmender Feuer Not. An
, .nen nährte sich und wuchs Shakespeare über das knappe Maß des Gestaltungs-
"Stiers, des Charakterisierenden in das, was er war und als was er noch von seinem
I rvvecl<er Schlegel erlebt war, ins Dichterische. Nicht mehr ist der Fluß der Hand-
g> der Stoß und Gegenstoß der Figuren, ein vom Lauf der Verse, von Stoß und
genstoß der Rhythmen Gesondertes. Gesamtgeballt ins untrennbar eine Feuer
ichterischen ist die ganze Masse des uns vom Genius überlieferten Werkes:
nur in dieser Komplexion und ganz in dieser ist er uns fühlbar. Darum griff
junge Dichter aus der nächsten Folge Stefan Georges, Friedrich Gundolf, hinein
 
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