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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 5.1910

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Margis, Paul: Die Synästhesien bei E. T. A. Hoffmann
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https://doi.org/10.11588/diglit.3528#0096

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92 BEMERKUNGEN.

I. 321. (Johannes Kreislers Lehrbrief.) Es ist kein leeres Bild, keine Allegorie,
wenn der Musiker sagt, daß ihm Farben, Düfte, Strahlen als Töne erscheinen,
und er in ihrer Verschlingung ein wundervolles Konzert erblickt.

I. 46. (Höchst zerstreute Gedanken.) Nicht sowohl im Traum, als im Zu-
stande des Delirierens, der dem Einschlafen vorhergeht, vorzüglich, wenn ich
viel Musik gehört habe, finde ich eine Übereinkunft der Farben, Töne und Düfte.
Es kommt mir vor, als wenn alle auf die gleiche geheimnisvolle Weise durch
den Lichtstrahl erzeugt würden, und dann sich zu einem wundervollen Konzerte
vereinigen. —

Der Duft der dunkelroten Nelken wirkt mit sonderbarer magischer Gewalt

auf mich; unwillkürlich versinke ich in einen träumerischen Zustand und höre

dann wie aus weiter Ferne die anschwellenden und wieder verfließenden tiefen

Töne des Bassetthorns.

Auch später, im Oktober 1S14, spricht er in einer ernsten Rezension über ein

Konzert von Bernhard Romberg1) über »Die geheime Verwandtschaft von Licht

und Ton«. Es zeugt von der gewaltigen Intensität der Hoffmannschen Anlage und

seinem festen Glauben an ihre Realität, wenn er fast 90 Jahre, bevor das Studium

der Synästhesien begann, bevor Bleuler und Lehmann mit ihrer Lehre hervortraten2)

und noch Gefahr liefen, verspottet zu werden, mit solcher Entschiedenheit darüber

spricht.

Bemerkenswert sind zunächst die ziemlich reichen Beziehungen zwischen Strahlen,
Farben, Tönen, Düften, welche H. selbst fand. Ferner ist es interessant zu er-
fahren, daß seine Synästhesien nicht aus einer primären, sondern einer sekundären
Reaktion bestanden, d. h. daß nicht das Anschlagen eines Tones z. B. mit der Vor-
stellung einer bestimmten Farbe verbunden war, sondern daß nach Reizung oder
Überreizung des psychischen Organismus durch Musik später im Ruhestand Farben,
Töne usw. in der Vorstellung verbunden wurden. Seine mystische Erklärung des
Vorgangs wollen wir auf sich beruhen lassen. Anders steht es mit der Synästhesie
von Farbe, Duft und Ton. Sie ist nicht nur primärer Natur, sondern auch durch
besondere Eigenschaften präzisiert.

Mit jenen drei Beispielen scheint es mir hinlänglich bewiesen, daß H. in der
Tat ein Synästhet war. Jedem Kenner seiner Schriften ist es klar, daß die Kreis-
leriana mehr sind als poetische Ergüsse, daß sich in ihnen sein ganzes wirkliches
Empfinden getreu widerspiegelt und daß vollends die aphoristischen und in kunst-
loser Form aneinandergefügten »Höchst zerstreuten Gedanken« als Tagebuchblätter
zu betrachten sind. Wenn ich also diese drei Bemerkungen vorwegnahm, so ge-
schah es, um einwandfreie Belege für die Anlage unseres Dichters zu geben. Denn
was jetzt folgt, sind Zitate aus seinen poetischen Werken, nach denen man wohl
zum Teil vermuten kann, daß ein Synästhet sie geschaffen haben muß, die aber
doch nicht so vollgültige Beweise sind, wie die obengenannten. Gerade bei einem
Dichter wird es immer schwer fallen, wenn keine authentischen Nachrichten vor-
handen sind, aus gelegentlichen Bemerkungen in den Werken, deren Reinheit wo-
möglich durch phantastischen Zusatz und sprachliche Gepflogenheit getrübt ist, mit
Sicherheit eine Entscheidung zu fällen; denn man kann wohl die Vorstellung von
dem Wirken jener Erscheinung haben und sie dichterisch ausbeuten, aber man

•) Hans von Müller, Hoffmann kontra Spontini, Musik 2, Dez.-Heft, 1907. Im
Privatdruck S. 5.

2) Eugen Bleuler und Karl Lehmann, Zwangsmäßige Lichtempfindungen durch
Schall. Leipzig 1881.
 
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