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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 5.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.3528#0123

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BESPRECHUNGEN. ] ] g

terisierung heran, so verläßt man den ästhetischen Standpunkt, um einen anderen
— vielleicht den kunstwissenschaftlichen — zu betreten. Dies sei nur gesagt, weil
der Autor sein Buch ausdrücklich als einen Beitrag zur Ästhetik der Malerei — er
behandelt nur das gemalte Porträt — bezeichnet.

Im übrigen kommt es ja gar nicht darauf an, ob die Gliederung der Arbeit aus
einer einwandfreien Definition des Stoffgebietes hervorgeht, sondern vielmehr darauf,
ob sie Gelegenheit und Anregung zur Bearbeitung der wichtigsten einschlägigen
Fragen gibt, und das tut des Autors Disposition in ausgiebigem Maße.

Schon in den »Vorfragen« kommen Maler, Porträtierte und unbeteiligte Be-
schauer zum Wort. Zunächst bringt der Verfasser eine Reihe außerordentlich fleißig
zusammengestellter Aussprüche von Porträtisten über das Bildnis. Er spricht diesen
Urteilen nur einen geringen Wert für die theoretische Bearbeitung zu. Und damit
hat er gewiß recht. So anregend das einzelne Künstlertirteil ist, so stark sind auch
die Divergenzen mehrerer über denselben Gegenstand, und eine genügend große
Sammlung gäbe als arithmetisches Mittel unfehlbar Null. Sie sind eben das, was
»moderne« Menschen ab und zu unter »subjektiven Wahrheiten« verstehen, also
nicht wörtlich zu nehmen, sondern durch eine Interpretation zu korrigieren, die dem
Autor des Ausspruches zu mühsam, zu schwierig oder auch zu selbstverständlich war.

Die Porträtierten waren ursprünglich nicht zugleich die Auftraggeber. Die
Porträtkunst hat ihren Ursprung in den Bildnissen der Toten und entwickelt sich
verhältnismäßig spät, in Italien nach Franz von Assisi. Mit dem wachsenden Selbst-
gefühl kommt die Porträtfreudigkeit des Quattrocento, das Bildnissammeln im 16. Jahr-
hundert, schließlich das Porträtieren ganzer Korporationen. Aber »nicht nur der
allgemeine Kunst- und Kulturzustand einer Zeit und eines Volkes hat seinen Anteil
am Sein und Blühen der Bildnismalerei, sondern es wandeln sich auch die Begriffe
>Schönheit — Gesinnung — Bildform' im Porträt«, und zwar in erster Linie auf
Seiten der Besteller. So hat jedes Geschlecht sein eigenes Gesicht und seine eigene
Vornehmheit, wie es seine Kleidermode hat, bald den Genuß liebt und bald die
Biederkeit der Gesinnung zur Schau trägt. Schließlich sind auch persönliche Nei-
gungen des Auftraggebers auf das Werden des Bildnisses von Einfluß.

Der Betrachter erwartet vom Bildnis, daß es den Charakter des Dargestellten
zum Ausdruck bringe, nicht nur eine augenblickliche Verfassung, sondern die wesent-
lichen Züge.

Diese offenbaren sich aber nur in einem seelisch fruchtbaren Moment, und die
bildende Kunst kann sie nur an der Äußerlichkeit des Menschen entwickeln. So
kommt Waetzoldt zu der Frage, »auf welchen Elementen und Verhältnissen zwischen
den Elementen der Sichtbarkeit die Seelenhaftigkeit des Gesichtes beruht«.

Zunächst macht sich nun der Autor darüber Gedanken, worin die Vorzugs-
stellung des Gesichtes für die Porträtmalerei bestehe, und findet die Hauptgründe in
der vollkommenen Einheit des Antlitzes, in unserer Fähigkeit, seinen Ausdruck durch
innere Nachahmung, auf Grund unserer Erfahrungen, durch Vergleich mit Tieren
°der anderen Rassen zu verstehen, aber auch — und da alle die genannten Mög-
lichkeiten auch für andere Körperteile zutreffen, wohl mit Recht — in unserer durch
die Kleidung bedingten Bevorzugung des Gesichtes. Aus allen diesen Trägern der
Seelenhaftigkeit gewinnt der Maler den Ausdruck des Individuellen, für den das
•^uge am allermeisten in Betracht kommt.

Wie der Maler aus der Fülle der ausdrucksvollen Momente nur einen zeitlichen
Moment herausgreifen kann, so kann er von den vielen möglichen Ansichten des
Kopfes auch nur eine zum Porträt auswählen. Am charakteristischsten sind zwei:
die volle Vorderansicht und die strenge Seitenansicht. Jene gibt den Ausschlag, in
 
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