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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 5.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.3528#0132

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128 BESPRECHUNGEN.

chromatisch erhöhten oder erniedrigten Tones zu definieren, und will versuchen,
so gut das in ein paar Sätzen angeht, die Unhaltbarkeit dieser heutigen Lehre von
den sogenannten alterierten Tönen nachzuweisen.

Sie entstand aus der Beschränkung unserer Tonschrift, welche nur die 7 Stufen
einer Diatonik innerhalb einer Oktave direkt darzustellen vermag. Als man aber
über den 7punktigen Tonkreis in der Praxis hinausging und durch Verschmelzung
nächstverwandter Diatoniken höhere 8—12punktige Tonkreise bildete, entstand,
da man es unterließ, das Liniensystem von Grund aus zu erweitern, allmählich
das System der Versetzungszeichen, mit deren Hilfe man die Töne 8—12, für
die auf und zwischen den Linien kein Platz mehr zu finden war, notierte. So
erschienen diese, in der Schrift abgeleitet von ihren Nachbartönen. Wenn der

Musiker freilich ein eis stets so Fifc—jg------ zu lesen und nie ein selbständiges

Tonhöhenzeichen für diesen Wert zu sehen bekommt, so muß er wohl bald der
festen Meinung werden, das eis stamme auch seiner tonräumlichen Herkunft nach
vom c ab und sei durch Erhöhung aus dem c gewonnen, worin ihn noch die
Beobachtung bestärkt, daß es ja auch keinen eigenen, sondern nur einen von c ab-
geleiteten Namen führt. Es bedarf freilich erst eines klaren Einblicks in den ton-
räumlich streng symmetrischen Aufbau der Tonkreise, um diese Trugtheorie zu durch-
schauen. Mayrhofer1) hat nun gezeigt, daß der diatonische Tonkreis durch Ver-
einigung dreier nächstverwandter, das ist quintbenachbarter pentatonischer Kreise
gebildet wird. Einer zentralen Pentatonik gliedert sich zu beiden Seiten je die
nächstverwandte, das heißt nur um einen Ton von der zentralen sich unterschei-
dende Pentatonik an und verwächst mit ihr zu einer Diatonik, das ist einem
7stufigen Tonkreise. Z. B.:

f c g d a linke ]

c s d a e zentrale > Pentatonik

g d a e h rechte

aus der Vereinigung

C g d a e n resultierende Diatonik

Wäre nun z. B. unsere Notenschrift nur für eine Pentatonik bemessen statt für
eine Diatonik, so müßten das f und h als alterierte Töne in ihr erscheinen. Sie
wären nur durch Versetzungszeichen darstellbar; sie erschienen also in einer solchen
pentatonischen Tonschrift als abgeleitete (erhöhte resp. erniedrigte) Töne, und auch
ihre Namen müßten analog abgeleitet werden. Wären darum aber f und h in
Wahrheit abgeleitet, tonräumlich unselbständige Werte, >Formen« eines ihrer Nach-
barwerte ?

Der engste chromatische Tonkreis ist der 9stufige. Er entsteht durch Zusammen-
wirken dreier nächstverwandter (quintbenachbarter) Diatoniken. Z. B.:
f c g d a e h

c g d a e h fis
b f c g d a e

bfegdaehfis

Hier treten mit b und fis zum ersten Male zwei Töne auf, die dem Namen
(wenigstens fis) und der Notierung nach als abgeleitet erscheinen. Sie sind es in
der Tat nur in unserem Tonschriftsystem, weil dort kein Platz mehr für sie ist, fis
ist es auch dem Namen nach. Ihrer tonräumlichen Bedeutung nach sind aber

') R. Mayrhofer, Psychologie des Klanges, Leipzig 1907, und Organische Har-
monielehre, Berlin 1908.
 
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