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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 5.1910

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Lee, Vernon: Weiteres über Einfühlung und ästhetisches Miterleben
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https://doi.org/10.11588/diglit.3528#0150

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146 VERNON LEE.

2. der Erklärung dieser anthropomorphen Gewohnheit durch einen
mehr oder weniger lokalisierten und mehr oder weniger nach außen
projizierten Akt der Nachahmung (dies würde der Groosschen inneren
Nachahmung entsprechen),

3. der Erklärung der Lust-Unlust-Qualität und der Gefühlsresonanz
der ästhetischen Wahrnehmung durch die Beteiligung jener großen
organischen Prozesse — Herztätigkeit, Atmung, Gleichgewicht und
Fortbewegungstätigkeit —, die die sogenannte Lange-Jamessche Hypo-
these bei allem, was wir Stimmung oder Gemütsbewegung nennen,
als die Hauptfaktoren ansieht.

Diese drei Hypothesen vermengte ich — ich spreche jetzt nicht
von meiner Mitarbeiterin, die mir den experimentellen und weniger
abstrakten Teil der Arbeit lieferte — zu der Zeit, wo ich mich an dem
Artikel »Beauty and Ugliness« beteiligte. Sie hängen eng zusammen,
aber sie sind unabhängig voneinander; und wenn ich dazu beitragen
kann, daß andere Forscher sie auseinanderhalten und sie gesondert
untersuchen, so glaube ich für den Fortschritt der Ästhetik ein gut
Teil geleistet zu haben. Im folgenden werde ich untersuchen, welche
Beziehung zwischen diesen drei Hypothesen nachgewiesen werden
kann, sobald einmal die Zergliederung bloßer Definitionen und Ab-
straktionen der Analyse und insbesondere der persönlichen Beobach-
tung subjektiver und objektiver Tatsachen das Feld geräumt haben
wird. Ich werde dartun, welcher Grad von Gewißheit erforderlich ist
und verschafft werden kann für die schließliche Anerkennung einer
jeder dieser drei Thesen; und indem ich versuche, ein wenig Ordnung
in diese Probleme der wissenschaftlichen Raumästhetik zu bringen,
hoffe ich zuversichtlich, dem Leser die ungeheure Zusammengesetzt-
heit und vielleicht überhaupt nicht aufzuhellende Dunkelheit der um-
fassenden, vielverschlungenen Erscheinungen vor Augen zu führen,
die jeder von uns großen oder kleinen Ästhetikern durch irgend ein
eigenes hübsches kleines »allumfassendes« Prinzip schon einmal zu
erklären bemüht gewesen ist.

Die folgenden Seiten werden sich dementsprechend in einer mög-
lichst undogmatischen Weise mit den Tatsachen beschäftigen, die
erstens für die Lippssche Einfühlung, zweitens für die innere Nach-
ahmung und drittens für die Anwendung der Lange-Jamesschen Hypo-
these auf ästhetische Erscheinungen sprechen.

Vor und während der Ausführung dieses Vorhabens werde ich
indessen ständig bemüht sein, das Problem, das ich das Zentral-
problem der visuellen Ästhetik nennen möchte, als solches zu
erkennen und zeitweilig zu isolieren.
 
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