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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 5.1910

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Schmarsow, August: Anfangsgründe jeder Ornamentik, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3528#0326

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322 AUGUST SCHMARSOW.

Stellung zurück und — um der Kürze halber mit Max VerwornJ)
weiter zu reden — der gesamte Übergang zu »ideoplastischer« Kunst,
der gerade den allerwichtigsten Zuwachs intellektuellen Lebens doku-
mentiert; und dieser ist für die zweite Voraussetzung symbolischen
Ausdrucks, das Entstehen übertragener Bedeutungen, unerläßlich. Jene
kulturgeschichtliche Konstruktion behauptet also nichts als eine psycho-
logische Unmöglichkeit. — Wenn ein andermal der Versuch gemacht
wird, für die Zeit der sogenannten Linear- und geometrischen Flächen-
ornamentik die Bezeichnung »symbolisch« in die Terminologie einzu-
stellen, so wird damit entweder die ganz willkürliche Annahme ein-
geschmuggelt, aller Linearornamentik usw. müsse symbolische Bedeut-
samkeit innewohnen, oder es wird mit dem Worte »symbolisch« ein
törichter Mißbrauch getrieben, auf den nur die lieblichen Reime nach
Altvater Zumpts Genusregeln passen: »Was man nicht definieren kann,
das spricht man als symbolisch an«'-').

Jede echte symbolische Ornamentik ist, wie wir uns gesagt haben,
überhaupt gar keine reine Ornamentik mehr, sondern ein Mischprodukt
aus Ornamentik und darstellender Kunst. Denn jedes Symbol ist ein
absoluter Wert für sich und geht als solcher über den sinnlichen
Wert eines ornamentalen Reizelementes hinaus. Das ornamentale Ver-
fahren mit symbolischen Bildern und Zeichen unterliegt also denselben
Bedingungen wie dasjenige mit vorgefundenen Naturprodukten mehr
oder minder selbständiger Art, von denen wir oben in erster Linie
gesprochen haben. Sie werden durch die vielfältige Wiederholung,
durch die Gesetze der Reihung und Gruppierung, der Symmetrie, der
Proportionalität und des Rhythmus, denen man sie unterzieht, zu rela-
tiven Werten, die sich einem Gebrauchsgegenstand als ihrem Träger
anpassen, also dieser körperlichen Einheit unterordnen müssen. Und
während die Naturdinge wie Muscheln und Perlen oder Fruchtkapseln
und Tierzähne sich dies ruhig gefallen lassen, bleibt im Symbol immer
der Anspruch auf absoluten Wert und höhere Bedeutung als Wider-
spruch zu solchem Verfahren der Ornamentik bestehen. Dekorative

>) Zur Psychologie der primitiven Kunst, Jena 1908, und Die Anfänge der
Kunst, Jena 1909. — Ich akzeptiere diese Bezeichnungen erst einmal im rein psycho-
logischen Sinne. Meine Terminologie bevorzugt sonst im kunstwissenschaftlichen
Sinne den Gegensatz »Idealismus« und »Naturalismus oder.Realismus«. Vgl. Grund-
begriffe der Kunstwissenschaft usw. 1905 und in dieser Zeitschrift II, 4. S. 496,
493, 491.

2) Die Annahme, daß zu jener symbolischen Zeit der Grad der Aufmerksamkeit
geringer gewesen sei als in einer folgenden Periode, die typisch genannt wird,
widerspricht so vollkommen den Tatsachen paläolithischer Wandmalerei und heutigen
Erfahrungen der Forschungsreisenden in Afrika, Brasilien usw. an ihren Führern,
daß die Aufstellunu keiner weiteren Diskussion bedarf.
 
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