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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 5.1910

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Schmarsow, August: Anfangsgründe jeder Ornamentik, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.3528#0331

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ANFANGSGRÜNDE JEDER ORNAMENTIK. 327

nicht voreinnehmen, so bleibt doch die horizontale Reihung kleiner
Kerben bestehen, die den Eindruck der zylindrischen Oberfläche dieser
Röhrenknochen dem Aussehen schlanker Birkenstämmchen oder -zweige
nähert, deren silbergraue Rinde in straffer Spannung ähnliche Horizontal-
streifen aufweist. Das ist kein müßiger Vergleich; wenn er auch keinen
Augenblick die Absicht auf Nachahmung eines solchen Naturvorbildes
unterschieben soll, so lehrt uns doch der Anklang an dies wohlbe-
kannte Beispiel aus unserer Pflanzenwelt den Sinn auch der fremden
Erscheinung schneller und gewiß richtig erfassen. Es ist ein ver-
weilendes Betonen der zylindrischen Form des Röhrenknochens, und
die horizontalen Kerbchen bringen durch das Ineinandergreifen der
Reihen eine Bindung und Spannung in dieser Dimension hervor, wäh-
rend die häufige Abfolge in vertikaler Richtung natürlich die Länge
des Knochens erst recht zu Sinnen führt. Die Rundung des Stabes
und seine Höhe zugleich werden uns durch die einfachen Reizelemente
angehender zur Anschauung und zum Gefühl gebracht, als dies beim
Statten Knochen der Fall wäre. Die Vermittlung solcher Körperwerte
Urch Auflösung der simultanen Raumgrößen in sukzessiv aufzuneh-
mende Zeitfolge zeigt also ein in seiner Schlichtheit gerade schlagen-
es Beispiel für die Hauptfunktion der Ornamentik: vorhandene Werte
U begleiten, auszuzeichnen und hervorzuheben. Das Verfahren ist
^st ausschließlich das der Reihung, noch nicht einmal in strenger
Regelmäßigkeit, sondern mehr in diffuser Musterung.

Ahnliche Beobachtungen gestatten die beiden flachen Seiten eines
einchens mit Strichelung darauf (f), die sowohl dem Umfang der
orrngrenzen folgt, also wieder die bohnen- oder nierenähnliche Ge-
walt anerkennt, als auch sofort bei der Übersichtlichkeit des kleinen
anzen darauf verfällt, das Übergewicht der längeren Achse als maß-
s °end aufzunehmen und zu bestätigen. Auf der einen Seite ist in
r Mitte zwischen den beiden Strichkolonnen ein Intervall ausgespart,
a ... anderen Seite sind gar vier bis fünf Vertikalstriche in zwei
niäufen übereinander eingeschaltet. Bei der Auffassung des Stein-
ns als Körper tritt also das neue Prinzip der Symmetrie zwischen
ei aufsteigenden Strichreihen sofort zutage, und die bezeichnete
p. Iachse läßt keinen Zweifel, daß diese eingelegte Senkrechte als
°minante der Konstellation, empfunden wird, die im zweiten Falle,
gar ausdrücklich betont, den Schein erweckt, als sei sie der struktive
b des Systems. Kaum ein Schritt noch ist nötig, und wir sind bei
I . £B'5r Klarheit der Struktur, die dem vorgefundenen Körper mit
^eichgültiger Oberfläche durch die ornamentale Behandlung verliehen
pi- .' zunächst natürlich, wie gesagt, nur dem Scheine nach, als
F'achendekoration.
 
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