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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 5.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.3528#0472

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468 BESPRECHUNGEN.

sehen Neuerungen Trissinos (S. 95). Für ihn entsteht auch das orthographische
Problem nur aus der antiästhetischen Anmaßung der Grammatiker, Akademien und
sonstigen Autoritäten, dem Veränderlichen und Wechselnden, jedesmal eigentümlich
im Bewußtsein des einzelnen Schriftstellers sich Bestimmenden feste allgemeine und
abstrakte Normen zu setzen. In Wahrheit gelte auch für die Orthographie der
Satz: wie der Inhalt, so der Ausdruck. Ein jeder spricht seine Worte mit einem
ihm eigentümlichen Akzent aus; orthographische Einförmigkeit erstreben, heißt also
die Quadratur des Zirkels suchen. Es gibt Epochen, in denen sich äußerlich eine
größere orthographische Einförmigkeit zeigt; das bedeutet, daß in ihnen eine größere
geistige Einförmigkeit geherrscht hat. Aber selbst dann ist das von zwei ver-
schiedenen Individuen gleich geschriebene Wort nur äußerlich identisch; jedes der
beiden Worte ist ein vom anderen innerlich durchaus verschiedener Ausdrucksakt
(fatto espressivo).

Erwägungen solcher Art gehören doch zu denen, deren Schneide so dünn ge-
schliffen wird, daß sie sich umlegt, wenn man sie praktisch verwenden will. Es
kann eben überhaupt keine, also auch keine individuell adäquate graphische Laut-
bezeichnung geben, jede Orthographie muß ungenügend sein. Gerade daher werden
oft selbst ästhetisch sehr feinfühlige Schriftsteller gegen den graphischen Ausdruck
ihrer Sprache gleichgültig und haben gar nicht das Bedürfnis, sich eine persönliche
Orthographie zu erfinden. Sie wissen, es gilt auch hier allgemein: sobald man
schreibt — und drucken läßt —, beginnt man schon zu irren.

In dieser ästhetischen Auffassung bleibt die ganze Grammatik für Trabalza wie
für Croce nur ein didaktisches Hilfsmittel (espediente didattico) ohne wissenschaft-
lichen Wert, weil ohne wissenschaftlichen Vorwurf (problema). Und so würde eine
Geschichte der Grammatik nicht zur Entwicklungsgeschichte des menschlichen
Denkens, sondern der geistigen Sitten und Institutionen gehören, viel enger mit
der Geschichte des Unterrichts als mit der von Literatur und Wissenschaft ver-
bunden. Nur weil doch in den Werken der Grammatiker ein Fortschritt, eigener
Art allerdings, sich vollzieht: fortschreitender Tod und Auflösung in die Ästhetik)
ist die Geschichte der Grammatik auch ein Beitrag zur Geschichte des Gedankens
und der Kunst. Es handelt sich darum, historisch zu erkennen, wie die empirische
Grammatik erst zur philosophischen, die philosophische dann zur ästhetischen wird.

Diese Entwicklung in der grammatischen Darstellung der italienischen Sprache
durch die Jahrhunderte hindurch, seit dem fünfzehnten, zu verfolgen bis zu der von
ihm heute verkündeten Auflösung in die Ästhetik, hat sich der Verfasser zur Auf-
gabe gemacht. Eine kaum zu übersehende Fülle von Namen, großer, kleiner und
kleinster umdrängt den geduldigen Leser. Auch für den Inhalt, nicht nur für die
Auffassung hat Trabalza von Croce gelernt; so wird nach dessen Vorgang beson-
ders Vico in helles Licht gestellt. Diese mühsame und verdienstliche Arbeit des
Historikers zu würdigen ist hier nicht der Ort. Angemerkt sei nur, daß Trabalza
im Anhang einen Abdruck des ersten Versuches einer grammatischen Beschreibung
der florentinischen Umgangssprache (aus dem 15. Jahrhundert) bringt, als deren
Verfasser L. Morandi keinen Geringeren als Lorenzo il Magnifico hinstellen zu
dürfen glaubt. Der charakteristische Wert dieser Regole della volgar lingua fi0'
rentina liegt vor allem darin, daß sie eben die damals in Florenz gesprochene
Sprache grammatisch darzustellen unternehmen, während schon die zunächst ihr
folgenden grammatischen Erörterungen aus dem zweiten und dritten Jahrzehnt des
16. Jahrhunderts in ihren Vorschriften den klassischen Purismus des Trecento ode
ein mehr oder weniger künstliches »vulgare illustre« einfangen wollen. Und Tra-
balza weist darauf hin und legt am Schlüsse seines Buches ausführlicher dar, Wl
 
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