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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 5.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.3528#0484

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480 BESPRECHUNGEN.

rationen finden Riemanns revolutionäre theoretische Leistungen wenig Verständnis,
oft unbegründete Ablehnung. Besser sieht es bei den jüngeren Musikern aus, und
es steht zu hoffen, daß das in den nächsten Jahren heranwachsende Geschlecht
vorwiegend von ihm beeinflußt sein wird.

An der vorliegenden Festschrift haben sich 43 Mitarbeiter beteiligt. Von diesen
sind 33 mit historischen Arbeiten vertreten. Arbeiten zur Ästhetik und Theorie der
Musik finden sich 10. Dieses Zahlenverhältnis ist sehr bezeichnend dafür, wie
gering unter den höchstgebildeten Musikern von heute die Neigung zu eingehenderer
Beschäftigung mit theoretischen Fragen ist. Vollends Arbeiten, die sich auf dem
Gebiete bewegen, das Riemann uns überhaupt erst erschloß, sind nur vier anzu-
treffen. Karl Fuchs (Danzig) zeigt seine Schrift: »Metrik des Chorals« an, in der
er die von Riemann uns an die Hand gegebenen Regeln einer rhythmischen Recht-
schreibung anzuwenden sucht. Mathis Lussy (Montreux), der ja schon vor Rie-
mann in seiner Weise empirisch nach den Gesetzen des rhythmischen Vortrags
suchte, steuert eine kleine Studie »De la diction musicale et grammaticale* bei,
Richard Münnich (Berlin) gibt in seinem Beitrage »Von Entwicklung der Riemann-
schen Harmonielehre und ihrem Verhältnis zu Öttingen und Stumpf« einen äußerst
wertvollen, sehr klar gefaßten Abriß seines Themas. Der Unterzeichnete sucht
endlich eine Verbindung zwischen der Rhythmuslehre der modernen Psychologen
und Riemanns System der Rhythmik anzubahnen, in seinem Aufsatze: »Zur psycho-
logischen Begründung des Rhythmus und die aus ihr fließende Bestimmung der
Begriffe Takt und Motiv«. Als hierher gehörig ist aber noch zu nennen Karl Men-
nicke mit seinem Aufsatze »Über Richard Strauß' Elektra«. Es war ein glücklicher
Gedanke des Herausgebers, hier ein vornehmes und feinsinnig begründetes Bekennt-
nis abzulegen, daß ein jeder Musiker, welcher weiß, wie er durch Riemanns theo-
retische Lehren erst tief in die formalen Schönheiten der klassischen Kunst einge-
führt worden ist, den heutigen destruktiven Bestrebungen vieler schaffender Musiker,
insbesondere des Elektrakomponisten gegenüber sich ablehnend verhalten muß.

Die übrigen ästhetischen und theoretischen Beiträge können nur kurz genannt
werden: Hermann Sieb eck (Gießen) Sprechmelodie und Tonmelodie in ihrem ästhe-
tischen Verhältnis; Hugo Goldschmidt (Berlin) Wilhelm Heinse als Musikästhe-
tiker; Franz Marschner (Wien) Der Wertbegriff als Grundlage der Musikwissen-
schaft; Paul Moos (Ulm) Volkelts Einfühlungslehre; Guido Adler (Wien) Über
Textlegung in den »Trienter Codices«- Max Steinitzer (Freiburg i. Br.) Zur Me-
thodik des Anfangsunterrichtes für die Frauenstimme; Hugo Lob mann (Leipzig)
Die Gehörsbildung im Plane der Pestalozzischen Erziehungsidee.

Der stattliche Band, den die Verlagshandlung aufs vornehmste ausstattete und
mit einem Bilde Riemanns schmückte, der auch eine Biographie und ein Verzeichnis
aller Werke des Jubilars enthält, ist ein lebendiges und charakteristisches Zeugnis
der heutigen Musikwissenschaft.

Potsdam. Hermann Wetzel.
 
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