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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 5.1910

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Lat, Emil: Künstler und Dilettant
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https://doi.org/10.11588/diglit.3528#0600

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596 BEMERKUNGEN.

Mitteilungskraft seiner Affektäußerungen in die Öffentlichkeit, nur außerhalb der
Kunst liegende Beweggründe können ihn von der Vollendung seiner natürlichen
Bahn abbringen. Wie aber das ganze Gehaben des Dilettanten hingegen die beiden
Momente Eigenlust und Nachahmung charakterisieren, so treiben ihn diese über
das naturgemäße Ende seiner Bahn hinaus oft auch zur Veröffentlichung. Sich als
Künstler gelobt zu sehen, wie der Künstler über die Seele des Publikums Herrscher
zu sein, und die jedem Menschenwerke besonders dem Kunstwerke innewohnende
Tendenz, Mitteilung zu werden: diese Züge verweben sich zu einem Nebel, der
manchen sonst hellen Kopf umdüstern kann.

Ich habe mich bemüht, an der Hand der gegebenen Tatsachen die Wahrheit
der aufgestellten Behauptung: der starke Affekt charakterisiert den Künstler, das
schwache Gefühl den Dilettanten, darzutun. Alle landläufigen Bestimmungen dieser
beiden Begriffe lassen sich, auf das richtige Maß zurückgeführt, aus dieser Unter-
scheidung ableiten. Es ist nun leicht zu erklären, warum die Gefühlswirkung der
Vorstellung »Dilettant« so bestimmt ist gegenüber der Unbestimmtheit des Be-
griffes. Liegt doch das Unterscheidungsmerkmal ganz im Gefühlsleben. Es ist
auch klar, warum diese Gefühlswirkung sich als Geringschätzung äußert, und in
welchen Fällen sie fast ins Gegenteil umschlägt. Von der Geringschätzung kann
nur getroffen werden, wer sich ihr darbietet. Der anmaßende Dilettant und der
ernste Künstler, beide stellen sich der Öffentlichkeit. Ihre Werke sollen — allgemein
gesagt — ästhetische Gefühle auslösen. Und das Publikum antwortet mit Jubel
oder Hohn, je nachdem das Werk solche Gefühle in starkem Maße oder gar nicht
erregt. Daß ersteres nur dem selbst von starken Affekten bewegten Künstler ge-
lingen kann, liegt auf der Hand. Denn die Menge, in deren Chorus nur die
brausenden Stimmen der Mittellage, des Mittelmaßes zu hören sind, hat für jeden,
und wäre es auch nur ein großer Verbrecher, ein Gefühl der Ehrfurcht, wenn sie
ahnt, daß sein ganzes mächtig erregtes Ich in das Werk sich warf; den Ausstrah-
lungen des Affektes ist schwer zu widerstehen. Dem Dilettanten, der mit seinem
schwachen Gefühle auf den Plan tritt und die Erwartungen auf Großes enttäuscht,
bleibt der Spott. Nur wenn sein Leben zeigt, er habe das Schwergericht seines
Daseins auf ein anderes Feld geworfen, suche nur seine Erholung in der Kunst-
betätigung und beanspruche nicht den Rang des Künstlers, ja vermeide die Öffent-
lichkeit, dann kann er Billigung erwarten, eine Billigung allerdings, die ihren Maß-
stab dem ethischen, nicht dem ästhetischen Gebiete entnimmt.
 
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