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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 5.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.3528#0610

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606 Besprechungen:

gewidmet. Unser Verfasser sagt von ihr, daß seit Jahrzehnten kein deutscher Dra-
matiker die Tragik des Daseins an sich tiefer erfaßt und sicherer gestaltet hat, als
Arno Holz in diesem Werke. »Die Kunst, die, aus deutschem Geiste geboren,
in schlichter Wahrheit wurzelt und in klare Höhen strebt, bleibt unbeachtet.«
»Lüsterne Hanswurstiaden feiern Triumphe, impotente Epigonenstücke werden preis-
gekrönt, Hauptmannsche Unzulänglichkeiten rücksichtsvollst gepflegt — die tiefste
Tragödie dieser Zeit, die erste wirklich moderne Tragödie überhaupt wird tot-
geschwiegen.« Meiner Meinung nach besteht auch gar keine Veranlassung, das
Werk der Vergessenheit zu entreißen.

Nicht minder bedeutend scheint unserem Verfasser das lyrische Schaffen von
Arno Holz. Er knüpft an das bekannte Wort von Jakob Minor an: »Die vollkom-
menste Verskunst ist diejenige, welche den Gedanken am innigsten mit dem
Rhythmus vermählt« und meint, der einzige Dichter unserer Zeit, der dieses Ideal
verwirklicht, sei eben Arno Holz. Ja er scheut sich nicht, seine Darlegungen zu
folgendem Ergebnis zu steigern: »Seit Goethe hat es in Deutschland keinen Lyriker
gegeben, der über eine solche Mannigfaltigkeit von Formen und Stimmungen ver-
fügt, der gleichermaßen den Ton weicher Zartheit und feurigster Leidenschaft be-
herrscht, der heitere Anmut so vollkommen mit ethischer Tiefe in sich vereinigt
hätte, der ein so großer und ursprünglicher Künstler gewesen wäre, wie Arno
Holz.« Dies dürfte zur Charakteristik des Buches hinreichen, das einen interessanten
Beleg dafür abgibt, wie sehr sich selbst ein besonnener und kundiger Forscher in
seinen Wertungen vergreifen kann, wenn eine blinde Liebe für seinen Stoff ihn packt.

Es bedarf wohl nur weniger kritischer Worte, da ja jeder Kenner der neuesten
Literatur nach den vorgebrachten Proben sich leicht selbst ein Urteil bilden kann
und gar keine Gefahr besteht, daß viele den begeisterten Lobgesängen auf Arno Holz
beistimmen werden. Schon Paul Schienther hat in seinem Buche über Gerhart Haupt-
mann (Berlin 1898) den gerechten Vorwurf gegen Holz erhoben, dieser habe die
»gefährliche, nahezu selbstmörderische Neigung«, jeden Gedanken »bis zur Super-
klugheit fortzusetzen und ihn schließlich in Aberwitz, dem letzten Ziel aller Ein-
seitigkeit, verstocken zu lassen«. Und dieser beschränkte Dogmatismus, der die
ästhetischen Lehrsätze von Arno Holz zu einer Sammlung von Absurditäten macht,
lastet auch drückend auf seinem dichterischen Schaffen. Trotzdem darf seine Be-
deutung als fruchtbarer Anreger und kühner Rufer im Streite nicht unterschätzt
werden, ebenso wie seine Dichtungen — besonders die der Jahre, da er mit Schlaf
gemeinsam arbeitete — voll wertvoller Keime sind, zu deren Entfaltung allerdings
seine künstlerische Kraft nicht hinreichte.

Lessing hat alle seine Wertmaßstäbe den ästhetischen Schriften von Arno Holz
entnommen. Auf diesem Wege mußte er zu Einschätzungen gelangen, die höchst
anfechtbar sind: ungerecht gegen alles, was nicht dem Dogma des »konsequenten
Naturalismus« sich beugt, und diesem eine Bedeutung zuweisend, die ihm sachlich
in keiner Weise zukommt. Rückhaltlos anzuerkennen ist die breite Materialkenntnis
des Verfassers und die reiche Fülle von Literatur, die geschickt und zwanglos in
dem einleitenden historischen Kapitel »Natur und Kunst« verarbeitet wurde. Durch-
aus ablehnen aber muß ich den Ton, mit dem Lessing von jeder »wissenschaft-
lichen Ästhetik« spricht; er scheint mir einer ernsten Untersuchung unwürdig.

Prag.

Emil Utitz.
 
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