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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 5.1910

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https://doi.org/10.11588/diglit.3528#0624

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620 BESPRECHUNGEN.

fahren. Ich nieine die Erörterungen der Fragen aus der theoretischen Harmonie-
lehre und der Lehre vom Rhythmus in der Musik.

Ich suchte in meiner Besprechung der ersten Hälfte des Werkes anzudeuten,
daß Riemann, der ja selbst als harmonietheoretischer Forscher bisher bahnbrechend
wirkte, den zweifellos über die seinen hinausgehenden, höchst fruchtbaren Ideen
R. Mayrhofers über die Lehre von der Chromatik noch nicht gerecht wurde. Es
sei mir heute gestattet, in Anlehnung an Artikel des zweiten Teiles einige Be-
merkungen zu Riemanns Lehre vom Rhythmus in der Musik (Riemann nennt sie
Lehre von »der musikalischen Rhythmik und Metrik«) zu machen. Ich beschränke
mich dabei auf die Haupt- und Grundbegriffe, wie sie in den Artikeln: Rhythmik,
Rhythmus, Metrik, Motiv, Takt, weibliche Endung, Auftakt, Periode
zur Sprache kommen. Es muß vorausgeschickt werden, daß diese in der vertieften
Fassung, wie sie das Lexikon bietet, erst durch Riemann aufgestellt wurden, den
man den Begründer einer Lehre vom musikalischen Rhythmus nennen muß. Wenn
man also, wie der Unterzeichnete, zu teilweise etwas abweichenden Auffassungen
gelangt, so sind diese lediglich oder doch vorwiegend erst ein Ergebnis des Studiums
der Lehre Riemanns.

Zunächst vermisse ich eine Definition des Begriffes »Rhythmus« als einer phy-
siologisch-psychologischen Tatsache, aus der sich erst alle rhythmischen Erschei-
nungen erklären. Denn wenn unter »Rhythmik« der Rhythmus der neben der
Harmonie »wichtigste formgebende Faktor der Musik« genannt wird, welcher »den
zeitlichen Verlauf einander folgender Tongebungen durch Einhaltung unserer Auf-
fassung bequemer Zeiteinheiten« regelt, so ist damit der Natur dieses Faktors doch
wohl noch nicht hinreichend Erwähnung getan; daß er eine Form unserer musi-
kalisch-zeitlichen Anschauung (um Kantisch zu reden) ist, wird jedenfalls damit
noch nicht angedeutet, und ebensowenig die physiologische Seite des Phänomens
erklärt, die in dem Satze der Wundtschen Schule, daß er ein Affekt sei, welcher
sich in geordneten Bewegungen entlädt, beleuchtet wird. Der Rhythmus ist also
letzthin ein in uns ruhendes Vermögen oder Bedürfnis nach zeitlicher Ordnung iii
den musikalischen Erscheinungen, die erst musikalische genannt werden können,
wenn sie diesem Bedürfnis so weit entgegenkommen, daß wir imstande sind, an
ihnen unseren zeitlichen Ordnungssinn zu betätigen.

Kommen wir nun auf die rhythmischen Erscheinungen der Musik zu sprechen,
so unterscheidet hier Riemann rhythmische Tatsachen von metrischen. Hierbei ver-
wendet er aber den einen der beiden Termini in einem Sinne, der mit der ur-
sprünglichen Bedeutung des Wortes unvereinbar ist. Er definiert nämlich Rhythmik
als »die Unterscheidung von Tönen verschiedener Dauer innerhalb des durch Tempo
und Takt gegebenen metrischen Verlaufs, welche eine unendliche Fülle ästhetischer
Sonderwirkungen auf einfache Prinzipien zurückführt«. Metrik ist ihm dagegen die
Lehre von dem verschiedenen Gewicht, das der Hörer den Inhalten der einzelnen
Zeitstrecken zuspricht. Nehmen wir eine Motivfolge wie diese:

------11-----------------11--------------------1

> 4 n

Ä

fc-j-^

=F

so nennt Riemann folgende Merkmale rhythmisch: 1. die Einhaltung mittlerer Zeit-
einheiten vom Dauerwerte einer J-Note (sogenannter Zählzeiten); 2. die verschie-
dene Füllung dieser Zeitstrecken mit musikalischem Inhalte, die hier nur zwischen
I und r"l wechselt; 3. scheint Riemann auch die Empfindung des absoluten Zeit-
wertes der Zählzeiten (Tempo) als rhythmische Tatsache zu begreifen. Metrische
 
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