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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 1
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Stern, Lucie: Wilhelm Meisters Lehrjahre und Jean Pauls Titan
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0073

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WILHELM MEISTERS LEHRJAHRE UND JEAN PAULS TITAN. 67

liehen Plan hatte Jean Paul offenbar ursprünglich auch für den Titan,
denn im Genieheft notiert er sich: »Ich werde zuletzt mit der Prin-
zessin bei der Braut Albanos bekannt und verliebt — Beschreibung
meiner Liebe.« In der jetzigen Fassung bleibt der Dichter im großen
Ganzen außerhalb des Werks, er erhält zwar Briefe des Herrn von
Hafenreff er, aber selbst davon ist nur im ersten Band die Rede. 1802
berichtet der Dichter von der Arbeit am Titan: »Im vierten Bande ist
kein einziges Fehlen oder Ich; ebenso im fünften. Ich bin nun mein
SelbstsiegerJ).« In der Unsichtbaren Loge gibt sich bei den Ein-
mischungen des Autors eine gewisse Schamhaftigkeit kund: er sucht
sich zu verspotten, wenn er sich Gefühlen hingegeben hat. In der
Unsichtbaren Loge besteht keine solche Verflechtung des Autors in
sein Werk wie im Hesperus, sondern es bietet sich in ihr das Bild
dar von zwei Schichten: eine — die der handelnden Personen —
scheint wie aufgeklebt auf eine dahinter befindliche Scheibe, auf der
sich die Meinungen und Erlebnisse des Autors äußern. Diese letztere
Schicht erscheint vorwiegend verstandesmäßig, reflektiert, satirisch. Die
erstere steht im Gegensatz zu ihr dadurch, daß das Gefühlsleben hier
die Verstandestätigkeit bei weitem überwiegt, und selbst die Reflexionen
vom Gefühl diktiert sind. Diese direkte Art der Einmischung des
Autors, diese spielerische Art hat Jean Paul verworfen und, wie bereits
gezeigt wurde, im Titan kaum mehr ausgeübt.

Als eine Abart dieser direkten Einmischung erscheint Jean Paul
das Abgeben von Werturteilen des Autors über das von ihm
Dargestellte — Personen und Ereignisse. In der Vorrede zur dritten
Auflage des Hesperus (1819) sagt Jean Paul: »Seit mehreren Jahren
haßt der Verfasser in seinen älteren Werken einen Fehler in hohem
Grade..., nämlich den Fehler der eigenen schriftstellerischen Aus-
tromrnelsucht oder Vorsprecherei der Empfindungen, welche der Gegen-
stand haben und zeigen soll, aber nicht der Dichter. Z. B. ,erhaben
ruhig antwortete Dahore' — wozu erhaben beifügen, da es über-
flüssig, anmaßend und vorausnehmend ist, sobald die Antwort wirk-
ich erhebt, oder wenn sie es nicht tut, alles noch erbärmlicher aus-
teilt2).« Dieser Theorie entspricht die Praxis der späteren Ausgaben
des Hesperus: es wird in den späteren Fassungen nicht mehr der
Mensch bei seinem Auftreten unmittelbar mit seiner Eigenschaft und
seiner Meinung geschildert, sondern die Eigenschaft wird durch
handelndes Auftreten ihres Trägers dargetan, die Meinung erst ge-
äußert, wenn Veranlassung dazu vorliegt.

') Br. M. O. IV, 108.
2) H. 7.
 
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