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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

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Heft 2
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Dorner, Alexander: Die Erkenntnis des Kunstwollens durch die Kunstgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0226

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220 BEMERKUNGEN.

Da Wölfflin nicht losgelöst vom praktischen Einzelfall, sondern auf Grund der
von ihm gemachten Beobachtungen am Einzelobjekt zu dualistischen Begriffsgegen-
iiberstellungen sinnlicher Art (plastisch-malerisch) kommt, so widerspricht Panofsky
ihm nicht darin, daß er sie unbedenklich kunstgeschichtliche Grundbegriffe nennt,
sondern darin, daß er bei der Ableitung vom Gegebenen bleibt und nicht bis zu
abstrakten Begriffen herabgeht, die den Charakter der Notwendigkeit hätten.

In Wahrheit besteht zwischen Wölfflinscher und Panofskyscher Betrachtungs-
weise kein prinzipieller, sondern nur ein Gradunterschied.

Zwei Möglichkeiten waren vorhanden. — Einmal hätte Wölfflin seine Resultate
so gewinnen können, wie er es getan hat. Dann hätte er sie eine Gruppe kun t-
geschichtlich er Vergleichsbegriffe nennen müssen, die den Wert von Hand-
haben zur Schärfung des kunstgeschichtlichen Sehens, nicht den Wert von kunst-
geschichtlichen Inhalten haben und nicht als Gesetz für alle Perioden gelten. Denn
die Notwendigkeit einer geschichtlichen Abfolge vom plastischen zum male-
rischen Stil ist durch geschichtliche Forschungen gar nicht zu gewinnen, sondern
nur Erfahrung in der Gewohnheit einer solchen Folge. Im übrigen kommt es
wirklich bloß darauf an, womit man anfangen will, mit dem Plastischen oder mit
dem Malerischen, so geht ganz nach Wunsch entweder das eine oder das andere
zeitlich voraus. Ob ich die Antike mit dem Stil des Perserschutts oder mit Phidias
beginnen will, oder die mittelalterliche Kunst mit dem Jahr 500 oder mit dem
Jahr 1000, ist eine Frage der Technik der Kunstwissenschaft, keine kunstgeschicht-
liche Frage. — Gesetzt aber das Unmögliche, es wäre tatsächlich diese Abfolge
>plastisch-malerisch« für die Kunstgeschichte der ganzen Erde ein Gesetz (— denn
das ist die Voraussetzung für einen kunstgeschichtlichen Begriff—), so ist
sie darum immer noch kein kunst historisch er Begriff, weil sie den eigentlichen
Inhalt des jeweiligen Kunstschaffens nicht berührt. Denn täte sie das, so würde
sich die spätrömische Kunst mit dem Barock decken, was niemand wird ernstlich
behaupten wollen.

Weder vom Standpunkt der Abfolge, noch von dem des Inhalts können
diese Begriffe mehr sein als dualistische Vergleichskriterien sinnlicher Art, die nichts
hinsichtlich der zeitlichen Ordnung ihrer Folge und ihrer Abstände oder hinsichtlich
des Inhalts festlegen und nur gelten können für die Perioden, an denen sie erprobt
sind. Es lehrt auch dieses Beispiel wieder, daß solche dualistischen Querschnitts-
begriffe, selbst wenn sie nicht Konstruktionen geworden sind, sondern im Rahmen
der praktischen Kunstgeschichte bleiben, in der dritten Dimension der Zeit jedes
Halts entbehren und in ihr nicht leben können.

Die andere Möglichkeit war die, daß Wölfflin seine Begriffe auf dem Wege
der theoretischen Begriffsanalyse gewinnen konnte; dann hätte er sie kunsttheo-
retische Grundbegriffe nennen müssen und diese hätten mit der Kunstgeschichte
nichts zu tun gehabt.

:>Kunstgeschichtliche Grundbegriffe« als Inhalt der Geschichte aber
sind ein Unding, weil sie zwischen zwei Stühlen sitzen. Ihr Wert als formale
Kriterien mit begrenztem Geltungsbereich wird damit, wie gesagt, nicht bestritten
sondern nur ihre Erhebung zu einem geschichtlichen Gesetz. Übrigens ist es sehr
interessant zu sehen, daß Wölfflin am Schluß seiner kunstgeschichtlichen Grundbe-
griffe (S. 244) mit dem Satz »jeder abendländische Stil hat wie seine klassische
Epoche, so auch seinen Barock, vorausgesetzt, daß man ihm Zeit läßti
sich auszuleben«, die ganze gesetzmäßige Gültigkeit seiner Begriffe umwirft.
Denn wenn die Geschichte korrigiert werden muß, um Gesetzen zu entsprechen,
die aus ihr gewonnen sein sollen, dann sind das eben keine Geschichtsgesetze. Ich
 
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