Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 16.1922

DOI Heft:
Heft 2
DOI Artikel:
Besprechungen
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.3618#0242

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
psychologischen Ausdeutung wird man in der Kunstgeschichte wie in der Literatur-
geschichte doch nicht die Gesetzmäßigkeit in der Stilentwicklung richtig hervorheben
können, und es ist vor einer vorschnellen Anwendung solcher psychologischer Kate-
gorien zu warnen.

Wenn man sich demnach mit Müller-Freienfels kritisch auseinandersetzen muri
und seine Methode noch nicht als exakt ausgebildet und nach ihren Grenzen richtig
beschränkt bezeichnen kann, so wird man doch viel Anregung aus den kenntnis-
reichen Erörterungen des Verfassers schöpfen können, namentlich auch für die
Ästhetik. In oft überraschend belehrender Weise versteht es Müller-Freienfels, eine
Fülle von Beispielen aus der Kunst und der Literatur heranzuziehen und mit ge'
wandter Darstellung zu verwerten. Zweifellos findet das lebendig geschriebene Buch
seine Leser und übt es eine starke Wirkung aus, aber gerade darum ist es wichtig»
nicht nur seine Vorzüge hervorzuheben, sondern auch kritisch eine Weiterbildung
und Begrenzung der darin benutzten Methode zu fordern.

Greifswald. Willy Moog.

Max Auerbach und G ustav Crecel ius, Knochen und Muskeln des
Menschen. Anatomische Studien für Künstler in Anlehnung
an Leonardo da Vinci. Heidelberg, Verlag von Willi Ehrigs, 1920: 2-
40 S. 18Taf.

Durch unsere Kultur geht nicht erst seit gestern ein Riß. Die einen haben
Augen und sehen nicht und versuchen, Gesichtseindrücke auf dem Umwege über
einen Verstand zu erfassen, der in allen Kulturen bewandert ist. Die anderen sehen
mit ihren Augen nur das, was im Leben Nutzen bringt; sie bedienen sich ihres
Körpers zur Arbeit, werden sich aber erst seiner bewußt, wenn er krank ist. Hier
Überschätzung der Geistesarbeit, Unterschätzung der körperlichen Tätigkeit, da Über-
schätzung der Körpertätigkeit, Unterschätzung des geistigen Wirkens. Wie muß
darunter gerade der leiden, der zum Sehen geboren, zum Schauen bestimmt ist, der
Künstler! Ist für diesen doch zu allermeist der Körper das Maß aller Dinge. Er
sucht einen Körper darzustellen und bildet einen Kopf mit Anhang, oder er ver-
zichtet ganz auf die Darstellung des Körpers und gibt einen »Eindruck«.

Da ist jedes Unternehmen zu begrüßen, das unser Gefühl für Körperwerte zu
bereichern und anzuregen vermag, sei es auf welchem Wege es auch sei. Professor
Max Auerbach und der 1914 am Donon gefallene Maler Gustav Crecelius haben es
unternommen, einen Gedanken des in seinem Schaffen ganz großen Leonardo
da Vinci weiter auszubauen. Dieser stellte einen Muskel mit seinen Bündeln, über
deren Verlauf er sich klar werden wollte, durch Stricke dar. Die beiden Verfasser
haben nun geglaubt, diese Art der Darstellung auf jeden Muskel anwenden zu
können. Doch wenn man ihre Arbeit mit einem entsprechenden Bilde Leonardos
vergleicht, bleibt Leonardo klarer, da diesen anscheinend sein Feingefühl davor be-
wahrte, diese Darstellungsart auch auf nicht dafür geeignete Muskeln anzuwenden,
beziehungsweise auf einem Blatt nicht mehrere »Muskelstricksysteme* zu vereinigen,
wodurch die Übersichtlichkeit unbedingt leidet und für Künstler ein unüberwind-
liches Hindernis geschaffen wird, sich in die an sich schon fremde Art hineinzu-
denken.

Das Buch wird daher nur für Künstler geeignet sein, die schon recht weit-
gehende Kenntnisse der Anatomie haben, und unter diesen werden Künstler rrm
plastischen Anschauungen unbefriedigt sein, die gerade im Muskel den Begriff des
»Schwellenden«, des von innen nach außen Drängens verspüren. Steht diesen doch
Michelangelo näher als Leonardo da Vinci.
 
Annotationen