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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 11.1900

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Schölermann, Wilhelm: Giovanni Segantini
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https://doi.org/10.11588/diglit.5771#0065

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

HERAUSGEBER:

Professor Dr. Max Go. Zimmermann

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Gartenstrasse 15

Neue Folge. xi. Jahrgang.

1899/1900.

Nr. 8. 14. Dezember.

Die Kunstclironik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für. bildende Kunst und zum Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, In den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der ' Zeitschrift für bildende
Kunst erhalten die Kunstchronik gratis. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlags-
handlung keine Gewähr. Inserate, ä 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung; die Annoncenexpeditionen von Haasen-
ste in ßt Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

OIOVANNI SEGANTINI

Von Wilhelm Schölermann

Ganz jäh und unerwartet ist der grösste und tiefste
Maler des heutigen Italien, der die Alpen neu ent-
deckte, aus dem Leben geschieden: Giovanni Segantini.
Hoch in den Gletscherregionen hat er gelebt und
dort ist er auch gestorben, gestorben auf dem Gipfel
seiner Schaffenskraft. Er hinterlässt ein unvollendetes
grosses Werk, das auf der Pariser Ausstellung zu
sehen sein wird: das Panorama des Engadin, das der
41jährige Meister bis zu seiner kurzen Krankheit
kaum halbvollendete. Aber das, was er vorher ge-
schaffen hatte, genügt, um ihn unter die Reihe der
Grossen und in die Gemeinschaft der Auserwählten
zu versetzen.

Wie ein Roman klingt sein Leben. Als Sohn
armer Handwerksleute 1858 in Arco geboren, verliert
er mit fünf Jahren seine Mutter und kostet alle Leiden
und Entbehrungen, die die Armut begleiten. Er lernt
früh die Schmerzen und die seelischen Einsamkeiten,
früh die grosse Ahnung und die brennende Sehnsucht
nach Freiheit und Natur kennen. Nach dem Tode
der Mutter wird er zu einer Stiefschwester seines
Vaters nach Mailand gebracht. Von da ab werden
seine Erinnerungen deutlicher, die Krisis seines
Schicksals tritt ein, die sein ganzes Leben bestimmt.
Er hat es selbst erzählt und aufgezeichnet, wie ihn
die »Bestimmung« unwiderstehlich ergriff als er die
Dachstube seiner Stieftante heimlich verliess, um die
Schönheit zu suchen, die unbekannte Schönheit in
der Ferne. Er hat von der zauberhaften Stadt Paris
gehört, die »jenseits der Alpen liegt«. Dorthin will
er wandern. Aber der Weg ist lang und ermattet
sinkt er eines Abends, während die untergehende
Sonne die fernen Höhenzüge vergoldet, am Eingang
eines Alpendorfes nieder. Bauern finden ihn halb
tot und abgemagert und nehmen sich mitleidig seiner
an. Er wird Hirtenbube und hütet Schafe und Schweine.
Seinen Träumen in freier Alpennatur überlassen,
zeichnet er eines Tages ein naturgetreues porträt-
ähnliches« Schwein auf einen Felsblock. Die Hirten

Es
Werke
zählen

und Bauern laufen zusammen und heben mit echt
italienischer »Kunstbegeisterung« den neuen Giotto
auf die Schultern und tragen ihn im Triumph ins
Dorf. Durch die Fürsprache eines reichen Mailänders
wird er Schüler der Mailänder Akademie und die
Linie seines Lebens ist fortan eine gerade, steigende
Bahn.

ist nicht meine Absicht, die einzelnen grösseren
des Dahingeschiedenen der Reihe nach aufzu-
und zu besprechen. Wir haben, seit Segantini
berühmt geworden, kritische Erläuterungen über seine
Person, Malerei, Technik und Bedeutung genug gehabt.
Mit dem Jahre 1889 wurde der bis dahin in stiller
Einsamkeit schaffende Künstler zuerst auf der Münchener
Ausstellung einer grösseren Gemeinschaft zugängig
gemacht. Der Erfolg war damals ein überraschender.
Sieben Jahre später, 1896, brachten Berliner und 1898
Wiener Ausstellungen eine Übersicht seiner bis dahin
geschaffenen Arbeiten. Es war eine ziemlich schwierige
Aufgabe, das kunstempfängliche Publikum seiner etwas
spröden Technik zugängig zu machen. Sie erinnerte
an feine Mosaiksteinchen, eine Wirkung, die durch
das prismatische Zerlegen der reinen Farben neben-
einander auf der Leinwand, statt des Durcheinander-
reibens auf der Palette, erzielt wird. Es ist das im
Wesentlichen dasselbe, was die sog. Pointillisten und
Neo-Impressionisten angestrebt haben, nur dass Se-
gantini in seiner Alpeneinsamkeit ganz allein und
selbständig zu ähnlichen Ergebnissen gelangte, wie
sie, ein Beweis dafür, wie organisch dieser Häutungs-
prozess unseres modernen Auges, das »unbewusste
Wissenschaft« getrieben hat, gewesen ist. Das eigen-
tümliche Zittern und Flimmern der Alpenluft musste
Segantini in direkter und steter Berührung mit der
reinen Natur auf diese Technik bringen. Er hat selber
interessante Aufzeichnungen über diesen Gegenstand
gemacht, wie denn Segantini überhaupt zu den Malern
gehörte, die von Zeit zu Zeit den Pinsel mit der
Feder vertauschten, um sich selber Klarheit über den
eigenen Entwicklungsprozess und den »zurück-
gelegten Weg« zu geben. So hat er über sich und
seine Arbeit geschrieben für die, welche ihm nahe
 
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