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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 11.1900

DOI Artikel:
Seeck, Otto: Ein neues Zeugnis über die Brüder van Eyck, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5771#0041

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KUNSTCHRONIK

WOCHENSCHRIFT FÜR KUNST UND KUNSTGEWERBE

HERAUSGEBER:

Professor Dr. Max Gg. Zimmermann

Verlag von E. A. SEEMANN in Leipzig, Gartenstrasse 15

1899/1900.

Nr. 5. 16. November.

Neue Folge. xi. Jahrgang.

Die Kunstchronik erscheint als Beiblatt zur »Zeitschrift für bildende Kunst« und zum »Kunstgewerbeblatt« monatlich dreimal, in den Sommer-
monaten Juli bis September monatlich einmal. Der Jahrgang kostet 8 Mark und umfasst 33 Nummern. Die Abonnenten der »Zeitschrift für bildende
Kunst erhalten die Kunstchronik gratis. — Für Zeichnungen, Manuskripte etc., die unverlangt eingesandt werden, leisten Redaktion und Verlags-
handlung keine Gewähr. Inserate, ä 30 Pf. für die dreispaltige Petitzeile, nehmen ausser der Verlagshandlung die Annoncenexpeditionen von Haasen-
stein & Vogler, Rud. Mosse u. s. w. an.

EIN NEUES ZEUGNIS UBER DIE BRUDER VAN
EYCK
Von Otto Seeck.

Am Ende des 15. Jahrhunderts unternahm der
Nürnberger Arzt, Dr. Hieronymus Münzer aus Feld-
kirchen, eine Reise in die westlichen Länder Europas
und verfasste über sie einen Bericht, der uns in der
Münchener Bibliothek durch eine Abschrift Hartmann
Schedels erhalten ist. Ueber die Sehenswürdigkeiten
Gents, wo jener am 26. März 1495 ankam, finden
wir dort unter anderem das Folgende erzählt:

De nobilissima tabula picta ad sanctum Joan-
n ein, eil ins simile vix credo esse in mundo:

Ecclcsia sancti Joannis inter Mas tres princi-
pales est pulchrior maior et longior de 156 passibus.
Et inter cetera habet unam tabulam depictain supra
unum altare magnam et pretiosissimam de pictura.
In cuius summitate est depictus deus in maiestate et
ad dextram beata virgo et ad sinistram Joannes
baptista et sub eis figurae octo bcatitudinum; in ala
autein dextra Adam et circa ipsum angeli cantantes
melos deo; in ala aute/n sinistra Eva et angelicum
organis; et in inferiori ala dextra iusti iudices et iusti
milites, sub ala autem sinistra iusti heremitae et iusti
peregrini. Et omnia illa sunt ex mirabili et tarn
artificioso ingenio dcpicta, ut nedutn picturam, scd
artein pingendi totam ibi vidcrcs, videnturque omnes
imagines vivae. Postquam autem magister pictor opus
perfecit, superadditi sibi fuerunt ultra pactum pre-
tium sexcentuin coronac. Item qaidam alias inagnus
pictor supervenit volens imitari in suo opere haue pic-
turam , et factus est melanchoticus et insipiens. O
quam mirandae sunt effigies Adae et Evae! Viden-
tur omnia esse vivaf Et singula membra sibi corre-
spondent. Sepultus est autem magister tabellae ante
altare.

Die Mitteilung dieser wertvollen Notiz verdanken
wir einem Artikel von Karl Voll, den dieser in der
Beilage zur Allgemeinen Zeitung vom 7. September
1899 veröffentlicht hat. Doch hat er, wie mir scheint,
von seinem glücklichen Funde nicht den richtigen

Gebrauch gemacht. Er will damit beweisen, dass der
Genter Altar fast ganz von Jan van Eyck herrühre
und Huberts Anteil daran verschwindend gering sei.
Hierüber lehrt aber unsere Notiz gar nichts; dagegen
ist sie höchst wichtig für die Beantwortung der Frage,
wie die kunsthistorische Überlieferung über die Brüder
van Eyck entstanden ist.

Münzer kennt als Schöpfer des Gemäldes nur
einen einzigen Maler, und zwar soll es derjenige ge-
wesen sein, der vor dem Altar begraben lag. Dass
hiermit nur Hubert gemeint sein kann, steht über
jedem Zweifel. Ist doch die Inschrift seines Grab-
steins wohlbekannt, und zudem wissen wir, dass Jan
seine letzte Ruhestätte in Brügge gefunden hat. Dies
ist natürlich auch Voll nicht entgangen; er will daher,
wenn ich ihn recht verstehe, den Schluss der Notiz
nicht als Eigentum Münzers gelten lassen, sondern
betrachtet ihn als Zusatz von dessen Abschreiber
Schedel. Um dies glaublich zu machen, müsste zu-
erst erwiesen werden, dass dieser sich auch sonst
Interpolationen erlaubt habe. Denn dass die zwei vor-
letzten Sätze eine »gewisse Fahrigkeit« zeigen, ist bei
einer flüchtigen Tagebuchnotiz, die gar keinen An-
spruch auf stilistische Abrundung machen will, eher
ein Beweis für ihre Echtheit als dagegen. Wie sollte
der begeisterte Ausruf: O quam mirandae sunt effi-
gies Adae et Evae! nicht dem entzückten Betrachter
des Kunstwerks angehören, sondern demjenigen, der
dessen Bericht ruhig im Studierzimmer kopierte? Wir
besitzen also hier ein ganz unzweideutiges Zeugnis
dafür, dass man in Gent noch am Ende des 15.
Jahrhunderts Hubert als den Meister betrachtete, dem
der Ruhm des gewaltigen Altarwerkes ausschliesslich
zukomme.

Dem gegenüber stützt sich Voll auf die Angabe,
der Maler habe nach Vollendung des Werkes 600 Kronen
mehr bekommen, als vorher ausbedungen war. Er
argumentiert folgenderniassen: der Vollender war zwei-
fellos Jan; folglich muss dieser es auch gewesen sein,
dem jene 600 Kronen ausgezahlt wurden. Wenn aber
der Stifter Jodocus Vydt ihm ein Verdienst zuschrieb,
das ein so bedeutendes Extrahonorar rechtfertigen
 
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