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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 11.1900

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Weese, Artur: Die Ausstellung im Münchner Glaspalast
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Verschiedenes / Inserate
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https://doi.org/10.11588/diglit.5771#0259

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501

Nekrologe.

502

ebenfalls der innere Ausgleich zwischen Stoff und
Vortrag ein grosser Vorzug ist. Die Gestalt der Pest
durchschreitet von Raben umflattert, mit Riesen-
schritten die menschenleeren Strassen einer Gross-
stadt — ein mächtiges Weib, ganz umflossen von
einem schwefelgelben Licht; auf dem linken Flügel
die Geniessenden, ein moderner Boccacciokreis, auf
dem rechten die Büssenden, reuige Flagellanten.
Würde für das Bild ein richtiger Platz gefunden, so
würde die Wirkung wachsen. Aber in Ausstellungen
und Museen mag man nicht die innere Sammlung
finden, die ein so ernster Redner verlangt — ein
Missstand, für den weder der Maler noch das Publi-
kum verantwortlich ist; denn auf dem Markte will
man keine Busspredigten hören. Je selbständiger
und origineller die Maler denken, desto schwerer
fügen sie sich in den Rahmen unserer Ausstellungen.
Auch für den stimmungsreichen Ton in Walter Georgi's
Bilde mit den erntenden Bauern auf dem Felde will
die Umgebung nicht passen. Immer wieder müssen
wir darauf aufmerksam machen, wie vollständig sich
unsere Künstler von den Theorien der achtziger und
neunziger Jahre befreit haben, denn gerade dieser
Vorwurf wäre früher im trübseligen Grau-braun ge-
malt worden, während Georgi überall farbig und
deutlich bleibt, so sehr er auch die Gesamtstimmung
dämpft. Er mit seinen Genossen, wie dem Landschafter
Eichler und dem anregenden Adolf Münzer (zwei
ausgezeichnete, figurenreiche Dekorationsentwürfe) ver-
treten zwar kein irgendwie neues Programm, aber
es ist doch zu wünschen, dass sich dieses abgesprengte
Häuflein von Künstlern, die sich mit ihren Gedanken
und Werken an die heimische Scholle halten, be-
haupten möge.

Von den übrigen zwölf Gruppen, den Berliner,
Düsseldorfer, Frankfurt-Cronberger, Karlsruher und
Stuttgarter Künstlern, von Italienern und Engländern
eine Charakteristik zu geben, die jede in ihrer Sonder-
bestrebung bezeichnete, ist unmöglich, weil sich die
Künstler als lokale Gruppen, nicht als eigenartige
Richtungen zusammengefunden haben, wobei es auf
ein bischen mehr oder weniger secessionistische Ge-
sinnung eigentlich nicht ankommt. Am meisten Be-
achtung werden wohl die Düsseldorfer finden, weil
sie sich den Anschauungen der Münchner Fortschritts-
partei am meisten nähern. Ich möchte es nicht als
einen Vorzug betonen, dass der sonst so starke Sonder-
geist des Deutschen in der Kunst nicht kräftiger ent-
wickelt ist. Es wäre ein Zeichen gesünderer Verhält-
nisse, wenn sich die verschiedenen landschaftlich ge-
gliederten Gruppen auch in ihrer künstlerischen Sprache
so unterscheiden würden, wie der Schwabe vom
Sachsen, der Rheinländer vom Preussen. Warum
finden wir nicht mehr Meister, die ihre heimatliche
Landschaft mit derselben Liebe und Vertrautheit schil-
dern, mit der gleich starken Eigenart der Technik
und des Vortrags, wie Thoma den Taunus, wie die
Worpsweder ihre Haiden und Moore? Die Glasgower
Maler kennen diese mächtigsten Triebkräfte nationalen
und künstlerischen Charakters sehr wohl. Wer ihren
Saal betritt, fühlt sich in einer eigenen Welt, nachdem

| er ermüdet die Bildergalerien der anderen Gruppen

I durchwandert hat, ohne mit einem Wort daran erinnert
zu werden, in wessen Gesellschaft er sich eigentlich
befindet. Diese Monotonie der Kunstwerke, diese
Gleichförmigkeit der Säle bedeutet eine ernste War-
nung: nach all den technischen Versuchen sollten die
Errungenschaften in den Dienst grosser und ernster
Aufgaben gestellt werden; denn die Malerei ist doch
nicht bloss eine Hantierung mit Pinsel und Farben.
Sie ist eine Kunst, in der sich immer eine Seele,
ein Geist, ein Charakter ausspricht.

Das Kunstgewerbe ist so gut wie gar nicht ver-
treten. Sollte die Anziehungskraft dieses modernsten
Zweiges künstlerischer Arbeit und die Kauflust des
Publikums die Meister der Staffelei verstimmt haben?
Wie sehr aber die Plastiker mit der Teilnahmlosigkeit
des Publikums kämpfen, das fühlt man an den gewalt-
samen Versuchen Gasteiger's, die Aufmerksamkeit der
Menge auf sich zu lenken. Gewiss, keiner kann an
diesen excentrischen Werken vorüber, schon ihre
Dimensionen verbieten es. Jeder hört den Verzweif-
lungsschrei; aber wer sollte sich für das Michelange-
leske Gebahren eines Kleinmeisters erwärmen? Sein
gefesselter Prometheus erzählt von der qualvollen
Lage, in der sich der Künster selbst befindet, aber
die Fesseln, die ihm angelegt sind, schmiedete ihm
nicht die Gleichgültigkeit des Publikums, — denn für
einfachere Werke weiss es ihm Dank — er ist viel-
mehr gebunden und eingeschränkt durch seine Auf-
gaben selbst. Wenn schon Ausstellungsbilder eine
Verkehrtheit sind, wie viel mehr solche plastischen

1 Gruppen, die für keinen Zweck bestimmt, für keinen
Ort erdacht, sondern nur Ausbrüche einer leiden-
schaftlichen Natur sind, die kein Ziel für ihre Pro-
duktion findet.

Es ist ganz erklärlich, dass man immer unter den

i Jungen die zukunftsvollen Entwickelungskeime findet:
die Alten sind die Alten geblieben. Lenbach's Kraft
ist noch ungebrochen, und wieviel eine alles beherr-
schende Technik vermag, das zeigen die verblüffenden
Porträts Friedr. Aug. von Kaulbach's. Nur zu bedauern
ist, dass solche Fähigkeiten sich dem unpersönlichen
Dienste höfischer Repräsentationsmalerei bequemen.
Das Geheimnis auch als Hofporträtist bei aller Vor-
nehmheit der Haltung und allem Respekt vor der
Majestät doch wahr zu bleiben und sich als Künstler
zu behaupten, scheint doch seit Velasquez verloren
zu sein. Kaulbach's Herz hing nicht an dieser Auf-
gabe (Porträt der Kaiserin Augusta Viktoria in ganzer
Figur und grosser Toilette), aber mit besonderer Liebe
behandelte er einen jungen Frauenkopf, der alljährlich
in den Ausstellungen wiederkehrt.

NEKROLOGE

Dresden. Am 12. Juli starb hier der kgl. sächs. Hof-
maler Ludwig Theodor Choulant, von dem die hiesige
Galerie eine Ansicht der Engelsbriicke zu Rom besitzt.
Er war am 18. Juli 1827 zu Dresden geboren und Schüler
der Akademie sowie von Semper.

H. w. s.
 
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