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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 11.1900

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Behmer, Hermann: Ist die Donna Velata des Palazzo Pitti ein Werk Rafael's
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Bücherschau.

342

zu seinem Maler. Verwunderung darüber, „sich im
Bilde zu einer Dame erhoben zu sehen, Bewunderung
des grossen schaffenden Künstlers.

Dies Staunen der Bewunderung im Auge seines
Modells ist von Rafael erfasst und festgehalten und
im Kopfe der Sixtinischen Jungfrau Maria zu hoher
verklärter Wirkung gebracht worden, so dass nur die
alles umfassende Erhabenheit des Blickes aus den
Augen des Christuskindes auf ihren Armen denselben
an Bedeutung übertrifft. Ihre Augen schauen uns an
und doch wieder in sich hinein. Sie betrachten mit
heiligem Staunen das an ihr geschehene Wunder und
fordern uns auf mit zu staunen und mit zu bewundern
ihr göttliches Kind, den verheissenen Heiland, auf ihren
Armen.

Dieses Kind mit dem göttlichen Ausdruck und
seine gottbegnadete Mutter sind das Höchste, was
die Rafaelische, was die christliche Kunst überhaupt
hervorgebracht hat.

Möchte es mir gelungen sein, den äusseren und
inneren Zusammenhang zwischen dem Bildnisse der
Donna velata und dem Bilde der Sixtinischen Ma-
donna nachzuweisen.

Weimar, Januar 1900. Hermann behmer.

BÜCHERSCHAU

A. Sehmarsow, Plastik, Malerei und Reliefkunst (Beiträge
zurÄsthetik der bildenden Künste III) Leipzig, Hirzel, 1899.
Das Interesse an dem, was Wert und Wesen der
Kunst ansmacht, scheint wieder rege werden zu wollen,
man möchte nicht mehr um sie herum reden hören, son-
dern ihrem Kern näher kommen, möchte zu dem immensen
Reichtum an Kunstschätzen, welche vor den Augen unserer
Generation aufgestapelt liegen, ein inneres Verhältnis ge-
winnen. Hier klärend und fördernd zu wirken, den Weg
aus der Verwirrung der Kunstbegriffe zu weisen, ist das
Bestreben der »Beiträge zurÄsthetik der bildenden Künste«
von August Sehmarsow, welche mit dem vor kurzem heraus-
gekommenen dritten Heft ihren Abschluss gefunden haben.
War das erste Heft der Frage nach dem Malerischen in
seinem Verhältnis zu den graphischen Künsten, das zweite
dem Malerischen in der Architektur gewidmet, so möchte
die letzte Abhandlung das Wesen der Plastik in seinem
Unterschied von der Malerei zu erfassen suchen. Hier,
wo das »Problem der Form« in den Vordergrund trat,
war natürlich eine Auseinandersetzung mit dem bekannten
Buch Adolf Hildebrand's unvermeidlich, zumal sich Sehmar-
sow zu einer abweichenden Ansicht bekennen muss. Vor
allem ist es ihm darum zu thun, vor einer Auffassung der
bildenden Künste unter einem gemeinsamen Formproblem,
wie es Hildebrand thut, zu warnen. Er leugnet, dass die
Reliefauffassung das Prinzip sei, durch welches jegliches
Kunstwerk erst seine künstlerische Einheit gewinne. Eine
strenge Sonderung der Künste, hier speziell jder Malerei
und der Plastik, ist daher der Hauptinhalt des ersten
Kapitels, in dem diese beiden Künste als ihrer Natur nach
verschiedene charakterisiert werden. Während das Haupt-
problem der Malerei für Sehmarsow die Wiedergabe des
Zusammenhangs zwischen den Dingen dieser Welt ist und
zwar zunächst, soweit wir im Augenschein seiner habhaft
werden können, ist ihm die Plastik dagegen die Kunst,
deren eigenstes Anliegen in der schöpferischen Darstellung
des Körpers selbst zu suchen ist. In diesem Sinne ist es
ihm darum vor allem wichtig, den Wert der Mimik für das

Verständnis der Plastik klar zu machen und zu diesem
Zwecke die von Hildebrand so zurückgesetzte Thonbildnerei
wieder in ihre Rechte einzusetzen. Gerade diesen Vorgang

I des Modellierens hält er für den eigentlich entscheidenden
Prozess der Bildnerei, von dem aus in erster Linie das
Problem der Form in der Plastik erklärt werden könne,

j während bei der Steinskulptur die Schwierigkeiten der

[ Arbeit in härterem Material an mehr als einem Punkte den

■ natürlichen und unmittelbaren Weg des schöpferischen
Verfahrens verbieten und nur auf Umwegen zum Ziel

! gelangen lassen. Beim Modellieren in Thon oder Wachs
sei die Selbstversetzung in das Gebilde ein selbstverständ-

j licher, wenn'auch noch so unbewusster Vorgang. Deshalb
werde auch den frischweg modellierten Thonfiguren vor
allen Dingen eine Eigenschaft gesichert sein, die ausser

j den konstitutiven Grundlagen menschlicher Konfiguration
als wichtigste gelten dürfe: das Motiv. Während Hilde-

! brand in der Erscheinung als Raumwert den elementarsten

| notwendigsten Ausdruck erkennt, in dem Funktionswert
dagegen erst einen Ausdruck, der sich auf die Erscheinung
als Raumwert beziehe, setzt Sehmarsow dem die Bedeut-
samkeit des Motivs entgegen: »der Ausgangspunkt aller
ausdrucksvollen Bethätigung liegt in der Mimik«. Und
wenn auch erst der echte plastische Genuss erwachse,
wenn das Auge die Forderung stellt, dass die volle Daseins-
form sich ausweise, so eröffne sich uns der Weg zum
Verständnis der organischen Schönheit doch erst durch
den Eindruck des bewegten Organismus. Die Emanation
aller Teile von einem Centrum her, vom Sitz des Lebens,
ist für Sehmarsow der Kern des plastischen Schaffens.
Für ihn geht der Bildhauer nicht von einer allgemeinen
Raumvorstellung aus, sondern im Gegenteil, solange es
sich um das Hauptanliegen seiner Kunst, um die freie,
isolierte Figur handelt, zieht er den umgebenden Raum
nicht mit in seine Rechnung. So schreckt auch Sehmarsow
nicht vor einem Bündnis der Plastik mit der Architektur
zurück und bejaht die Existenzberechtigung einer monu-
mentalen Plastik, welche im Einvernehmen mit den Prin-

J zipien der Baukunst der plastischen Gestalt, indem sie sie

I tektonisiert, einen über momentane Bedeutung hinaus-
gehenden Wert verleiht. — Im Anschluss an dieses Haupt-
thema des Bildners, die Schöpfung der freistehenden Gestalt,
verfolgt dann Sehmarsow die Zusammenordnung von
mehreren Gestalten zu einer Gruppe, die auch für ihn

j bereits einen Schritt aus dem eigensten Bereich der plasti-
schen Kunst heraus bedeutet. Er unterscheidet hier eine
tektonische Gruppe, welche als Abweichung zur Architektur
hin nur eine ideelle Raumeinheit darstellt, den Zusammen-
hang vollständig nur für die Vorstellung, nicht für das
Auge allein sich vollziehen lässt, eine malerische, welche
als Erscheinungszusammenhang gedacht, den Schattenraum
einer Nische oder ähnliche Veranstaltungen nötig macht,
und eine spezifisch plastische, bei der ein Zusammenhang

l rein körperlicher Art gelungen ist, wiewohl auch hier —
selbst bei so vollendeten Lösungen wie bei den »Ringern«
in den Uffizien oder der Gruppe Menelaos und Patroklos«

1 — ein kryptotektonischer oder kryptomalerischer Bestandteil
stets übrig bleibt. — Erst von hier aus, nachdem das
wesentlichste Anliegen des Plastikers bis ins äusserste
durchgeführt, wendet sich Sehmarsow dem Problem der
Reliefkunst zu, in dem Hildebrand das erlösende Prinzip

: erblickt hatte, welches durch alle Künste ginge. Zunächst

j muss Sehmarsow überhaupt schon gegen die Definition
der Reliefauffassung, wie sie Hildebrand giebt, Front
machen. Er setzt der Ansicht dieses, die Reliefvorstellung

; fusse auf dem Eindruck des Fernbildes, aus der Nähe ge-
schaute Natur sei nicht als Relief gesehen, die Überzeugung

I entgegen, dass die Reliefauffassung ebensowenig auf dem
 
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