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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 11.1900

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Behmer, Hermann: Ist die Donna Velata des Palazzo Pitti ein Werk Rafael's
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https://doi.org/10.11588/diglit.5771#0178

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339

Ist die Donna Velata des Palazzo Pitti ein Werk Rafael's?

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vorn zusammengefassten Hände bei. Die Umrisse des
mit grossem schwarzen Barett bedeckten Kopfes, der
Schultern und der Arme bilden eine Figur, ähnlich
der einer arabischen Acht, eine Linienführung, die
Rafael öfter angewendet hat. Verwunderlich und sehr
bemerkenswert ist dabei, dass der Rahmen unten zur
Hälfte die zusammengefassten Hände bedeckt.

Das Bild ist auf Leinwand gemalt, sein Gesamtton
ein milder, kräftig bräunlicher und der Farbenauftrag
verrät nirgends eine Übermalung. Die Urheberschaft
Rafael's ist meines Wissens unbestritten.

Dieses auf Leinwand gemalte Bild Rafael's ist für
die Beurteilung der Urheberschaft Rafael's bei der
Donna velata ausschlaggebend.

Zunächst ist in beiden Bildern die Grösse der
Bildfläche und ihrer Verhältnisse, wie auch die Ver-
teilung der Figur im Raum übereinstimmend. Ebenso
ist die Linienführung dieselbe, nämlich die der oben
erwähnten arabischen Acht, wozu der weite bauschige
Schleier und der um den Hals gelegte Gemmen-
schmuck wesentlich beitragen. Der Stil der Zeichnung
in seinem massvollen Schwung, die breite Auffassung
der Formen des Kopfes, Halses und der Hände wie
der Gewandung sind diejenigen Rafael's, der zwar
die Einzelheiten den grossen einfachen Licht- und
Schattenmassen unterordnet, aber zugleich den indi-
viduellen Charakter der Form aufs feinste und be-
stimmteste wiedergiebt.

Neben dieser breiten Modellierung zeigt das Bild
der Donna velata die sorgfältigste lebendigste Aus-
führung des feingefaltelten weissen Hemdes mit den
schwarzen Schnürschleifen und gelben Quasten über
dem Busen, so dass diese feinen Einzelheiten einen
künstlerischen Gegensatz zu der grossen Form und
die notwendige Abwechslung zu derselben bilden.

Der zarthellbraune Schleier hüllt, vom Kopfe nieder-
sinkend, den rechten Arm ein, dessen Hand sich sanft
und natürlich an das Mieder legt, während die Linke
ungezwungen nach der rechten Seite reicht, und wieder
bemerkenswerter Weise vom Rahmen unten zur Hälfte
bedeckt wird. Das Bild ist ebenfalls auf Leinwand
gemalt, der Gesamtton ein zartbräunlicher, milder, ein
blonder, wie manche Kenner sagen, doch fällt der
Ton und die Malweise des grossen weitbauschigen
Damastärmels etwas aus der allgemeinen Harmonie
heraus, worüber weiter unten Aufschluss gegeben
werden soll.

Aus der auffallenden Übereinstimmung der ganzen
Anlage beider Bildnisse und ihres eigentümlichen Ab-
schlusses nach unten, zusammen mit dem Stil der
Zeichnung nnd Modellierung wie des Farbentons und
Farbenauftrags und nicht minder durch die Würde
und Ruhe des seelischen Ausdrucks ist der Schluss
zu ziehen, dass die Donna velata ein Werk Rafael's
ist wie das Bildnis des Grafen Baldassare di Casti-
glione im Louvre. Wenn Kenner der Donna velata
einwenden, dass das Bild etwas Unharmonisches in
der Farbe und in der Technik hat, so muss das freilich
zugegeben aber dazu bemerkt werden, dass diese
Mängel erst mit der Zeit so empfindlich geworden sind.

Beim Kopieren und genauestem Untersuchen des

j Bildes entdeckte ich an der Umgebung der Finger
I der rechten, über das Mieder gebreiteten Hand Reste
einer kräftigroten Farbe und nun wurde mir klar,
dass zuerst ein rotes Gewand gemalt gewesen war.
Jetzt erklärte sich mir auch der sonderbar graue ziem-
lich bestimmt abgegrenzte Fleischton auf dem blossen
Halse, der von der linken Schulter sich zum Busen
herabzieht, und auch gewisse violettliche Stellen in
dem grossen graugelblichen bauschigen Damastärmel
des linkel Armes.

Das ursprünglich rote, viereckig am Halse aus-
geschnittene Kleid hat weichen müssen. An seine
Stelle ist ein weisses feinfaltiges Hemd mit tiefem
runden Ausschnitt gemalt und der darüber etwas
grau erscheinende Fleischton vom Ausschnitt bis zur
Schulter ist durch das Durchwachsen der roten Ge-
wandfarbe entstanden.

Unterhalb des Hemdes umschliesst ein niedriges
Mieder von graugelblicher Farbe den Busen und den
i linken Arm ein weitfaltiger bauschiger Ärmel von
graugelblichem Damast mit gelben Schnüren und
gelbseidenem Futter.

Während das ursprüngliche Bild einen weichen
Ton und die Farbe eine gewisse Mürbheit hat, wie
sie der Primamalerei auf etwas einsaugender Leinwand
eigen sind, so verliert in dem ganz übermalten grossen
Ärmel die Malerei diese Eigenschaften, und an ihre
Stelle tritt eine feste, trockene, harte Farbe, die an
I manchen Stellen durch das Durchwachsen der ersten
| roten Gewandfarbe jetzt unangenehm violettliche, miss-
' farbene Töne zeigt, und dieser, eine grosse Fläche einneh-
mende, in Farbe und Malerei vom übrigen Bilde ab-
weichende Ärmel ist wohl der Anlass zu dem Zweifel an
der Autorschaft Rafael's. Denn dieser Damastärmel der
Donna velata lässt nicht unbedingt die Hand Rafael's
erkennen und muss wohl einem Schüler zugeschrieben
werden, aber dies Stück ausgenommen besitzt das
Bild alle Merkmale und Eigenschaften eines Rafaeli-
schen Werkes. Ganz ausgeschlossen ist durch die
Entdeckung des zuerst gemalten roten Gewandes die
Behauptung, dass das Florentiner Bild eine Kopie
eines Rafaelischen Originals wäre. Nein, gerade dieses
pentimento spricht für eine Originalarbeit Rafael's.

Ist nun nach obiger Begründung die Donna velata
als eine Arbeit Rafael's anzusehen, so ist sie auch eine
Vorarbeit zu seiner Sixtinischen Madonna.

Nicht blos der beiden Bildern gemeinsame Schleier
spricht dafür, äusserlich angesehen, sondern auch der
Typus des Kopfes und der Hände und sogar diese
und die Arme sind schon im Sinne der Haltung und
Bewegung bei der Sixtina auf dem Bilde der Donna
velata disponiert.

Eine besondere Aufmerksamkeit verdient die Ver-
gleichung der Köpfe. In den Augen der Donna
velata ist eine eigentümliche Verschiedenheit der Form
und des Ausdrucks bemerkbar. Während das rechte
mehr geschlossene Auge im Schatten mit einem freund-
lichen Blick den Beschauer ansieht, ist das linke weit
geöffnet mit dem Blicke staunender Verwunderung und
Bewunderung auf den Beschauer gerichtet. Hier
spiegelt sich etwas von dem Verhältnis des Modells
 
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