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Kunstchronik: Wochenschrift für Kunst und Kunstgewerbe — N.F. 11.1900

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https://doi.org/10.11588/diglit.5771#0180

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343

Bücherschau.

344

Eindruck eines Fernbildes basiere, wie auf dem nahen
Standpunkte kubischer Körperschau, sondern dass, wo der
nahe Umkreis um uns selbst, in dem wir dreidimensionale
Körper gleich dem unsern erwarten, also das Reich der
Rundplastik aufhört und sich der entfernteren Distanz-
schicht des Fernbildes nähert, hier die Übergangssphiire
liege, wo die Reliefauffassung walte. »Hier ergiebt sie
sich für unsere menschliche Organisation ganz natürlich;
denn hier gleitet für unser Auge wie für unser Körper-
gefühl die Auffassung der Einzelkörper für sich in die
Auffassung ihres Zusammenhanges über.« Von diesen
Erwägungen aus gewinnt nun Schmarsow die Statuierung
von drei Reliefhauptarten, einer spezifisch plastischen, einer
tektonischen und einer malerischen, d. h. es stellt sich in
der Reliefkunst ein ähnliches Verhältnis heraus wie in der
Gruppenbildung, als deren weitere Fortsetzung wir ihre
Bestrebungen nach Wiedergabe eines Zusammenhanges
auch auffassen dürfen. Die spezifisch plastische Lösung
wird durch das Hochrelief repräsentiert, das sich indes
nicht allein nach dem äussersten Mass der Erhebung be-
stimmt, sondern als ergänzende Charakterisierung hinzu-
fordert, dass die Normalhöhe der Figuren die Gesamthöhe
der Bildfläche für sich in Anspruch nimmt, über den
Körpern also keinen leeren Luftraum übrig lässt und die
Einheit in der Flächenschicht, welche den Gestaltungsraum
ausmacht, erreicht. Das Flachrelief dagegen bewahrt einen
tektonischen Charakter, indem es die Abbilder d«r leben-
digen Geschöpfe nur zur Belebung der Fläche, wie jede
sonstige Ornamentik, verwendet. Seine ästhetische Funktion
ist die: den simultanen Eindruck der tektonischen Form
in successive Auffassung zu übertragen. Die reale Fläche
mit ihren zwei Dimensionen überwiegt stark, die dritte
ist nur latent in der Masse, aber dieser Verzicht bedeutet
auf der andern Seite einen Zuwachs an Körperhaltungen
und Bewegungsmotiven, die dem Hochrelief verwehrt sind.
Zwischen diesen beiden Reliefarten steht das Halbrelief,
wie es vorzugsweise bei Münzen und Medaillen zur An-
wendung kommt. Das gemischte Relief sodann, das zwei
Prinzipien der Gestaltung, einen stärkern und schwächern
Masstab der Erhebung mit einander verbindet oder gar
mit drei Stufen operiert, stellt den Versuch dar, die Tiefe
auszubeuten, ohne freilich auf diese Weise zu einer ein-
heitlichen Lösung zu kommen. Erst wenn der Künstler
die Einheit von den Körpern auf den Raum überträgt,
entsteht eine neue Reliefart, die des Tiefreliefs. Nicht mehr
das reale Tiefenmass der Figuren ist hier der entscheidende
Faktor, sondern eine Mehrzahl von Gründen schiebt sich
hintereinander und die Luftregion über den Köpfen der
Gestalten gewinnt einen Zuwachs, der den Einfluss einer
unbezeichneten Region der weitern Welt fühlen lässt. Als
Gesetz dieser Klasse ergiebt sich die Reliefperspektive, die
den natürlichen Bestand organischer Körper zurechtrückt,
verkürzt und auflöst nach dem Bedürfnis des optischen
Scheins. Die ganze Rechnung nähert sich der Aufgabe
der Malerei und sucht den Bedingungen eines Fernbildes
zu entsprechen, ohne sich schliesslich mehr um die annähernde
Übereinstimmung mit der Körperform in natura, besonders
in der Dicke, zu kümmern. Darum haben auch alle Ver-
ehrer des klassischen Reliefs der Griechen stets Einspruch
gegen dieses Tiefrelief erhoben, das allerdings etwas ganz
anderes darstellt, als Hildebrand mit diesem selben Aus-
druck bezeichnet. — Wie wir ein ausgeführtes Gemälde
in der Zeichnung gleichsam auf einen linearen Auszug zu
reduzieren versuchen, so kann das Grundprinzip des Tief-
reliefs schliesslich auf die Bedingungen des Flachreliefs
eingeschränkt werden; so entsteht das perspektivische Flach-
relief wie es etwa Donatello in dem Relief der Schlüssel-
übergabe (London, Southkensington-Museum) ausgeführt

hat. — Nachdem so der Normalfall der Reliefkunst, sowie
die Abweichungen nach der Tektonik und Malerei hin
festgestellt sind, behandelt der Verfasser in einem letzten
Kapitel über »Reliefanschauung und Dekoration« die Ein-
ordnung der drei bildenden Künste in das Gesamtkunstwerk,
' das Ideal einer modernsten Künstlergeneration. — Als
Schlussstein sämtlicher drei Beiträge fügt sich dann noch
ein Abschnitt über das »Reich der Kunst« an, in dem
Schmarsow die bildenden Künste untereinander und gegen
die Hemisphäre der Künste der Innenwelt mit kurzen
schlagenden Formeln zu scheiden bestrebt ist. So abstrakt
; auf den ersten Blick die mathematische Einfassung er-
scheinen mag, das Erleben derselben wird sicher für viele
klärend wirken, manche vielleicht eine ganz neue Stellung-
nahme gewinnen lassen. Schmarsow bekennt sich, wie
schon eingangs gesagt, zu der Ansicht, dass unmöglich
allen bildenden Künsten ein und dasselbe Gestaltungs-
1 prinzip innewohnen könne, dass unmöglich der Antrieb,
der zu ihrer Entstehung und Weiterbildung führt, in einem
gleichen Problem gesucht werden dürfe. Die Rücksicht
i auf die Körperlichkeit unseres Leibes, die Ortsbewegung,
die Tastempfindungen im ganzen Umkreis der Aktivität
unserer Arme und Hände, und das Körpergefühl, das nicht
allein diese physischen Bethätigungen begleitet, sondern
auch von Gesichtseindrücken wie von Vorstellungen mit-
erregt wird — die Rücksicht auf diese Momente hat ihn
zu einer anderen Auffassung geführt. Architektur, Plastik
I und Malerei sind ihm verschiedene Künste mit besondern
i Gestaltungsprinzipien. Die Architektur ist Raumgestalterin,
i die Plastik Körperbildnerin, während die Malerei eine
räumlich-körperliche Totalität — allerdings nur dem Augen-
schein nach giebt. Ihnen entsprechen auf der Seite der
1 zeitlichen Künste die Musik, die Mimik und die Poesie,
in der Weise, dass sich Architektur und Musik als die
! Gestalterinnen des Elementaren, der Grundfaktoren dieser
Welt, als die »kosmischen Künste« zusammenschliessen,
Plastik und Mimik als die ausschliesslich mit dem Menschen
selber operierenden, während Malerei und Dichtkunst als
Auseinandersetzungen mit der Welt da draussen zusammen-
gehören. Dieser Relation der Künste untereinander steht
dann eine zweite gegenüber, wenn es auf die Frage an-
kommt, welche von ihnen zusammengenommen erst einen
zureichenden Ausdruck für eine künstlerisch verarbeitete
Weltanschauung geben. In diesem Sinne spricht Schmarsow
von Komplementärwirkungen zwischen Mimik und Plastik,
Malerei und Musik, Architektur und Poesie. Die Orna-
mentik schliesslich schlingt um das Ganze dieser Kunstwelt
das Band, das diesen heiligen Bezirk mit den profanen
Bestrebungen der Kunstgewerbe vermittelt. — Alles in
allem erweisen sich die Ideen Schmarsow's als der höchsten
Beachtung wert für jeden, welcher aus unklarem Staunen
zu nachdenklichem Kunstgenuss und Verständnis vordringen
will, gleich beherzigenswert für Künstler wie für Kunst-
freunde. Gesundes Kunstgefühl zu wecken, zu klären,
frei zu machen von Vorurteilen ist seine Hauptabsicht;
auf Grund der Erfahrungen eines steten intimen Verkehrs
mit den Kunstwerken der Vergangenheit möchte er dem
modernen Menschen die Mittel an die Hand geben, den
Weg zu dem eigensten Wesen der Künste zu finden.

Felix Witting.

J. B. Supino. Sandro Bottieelli. Firenze Fr. Alinari —
B. Seeber, Editori. 1900.

Eine Monographie Botticelli's in seiner Muttersprache
von einem Landsmann geschrieben, war bis heute seit
Vasair noch nicht versucht worden. So hat die Arbeit Supino's
unter allem, was über den Florentiner Quattrocentisten ge-
schrieben wurde und geschrieben werden wird, beson-
dere Vorzüge und besondere Existenzberechtigung voraus.
 
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